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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Leute gut?«
    »Das will ich meinen!«, sagte sie. »Beinahe so gut wie mich selbst. Früher standen wir uns einmal sehr nah. Bis ein dummer Streit uns dann entzweit hat. Doch was mich betrifft, so habe ich ihnen längst vergeben. Und eines Tages werden auch sie begreifen, weshalb ich nur so und nicht anders handeln konnte.«
    »Ihr sprecht in lauter Rätseln!«, rief Leo.
    »Mögt Ihr denn keine Rätsel, padre ?«, gab sie schlagfertig zurück. »Manche von ihnen können sich als aufregend erweisen, wenn man sie zu lösen versucht.«
    »Ihr seid sehr listig«, musste Leo einräumen. Jetzt trottete er mit Fidelis tatsächlich hinter ihr her.
    »Dazu hat das Schicksal mich erst gemacht«, murmelte sie. »Und wie sehr es mich geformt hat!«
    »Ein neues Rätsel?«

    Wieder ihr glucksendes, ansteckendes Lachen.
    »Wenn Ihr so wollt – ja! Aber verändert das Schicksal nicht uns alle, einen jeden von uns?« Sie ging schneller, als könnte sie es kaum erwarten, endlich anzukommen.
    Plötzlich blieb sie stehen. »Wartet hier auf mich!«, sagte sie. »Ich gehe rückwärtig anklopfen.«
    »Wir nehmen den Eingang durch die Küchentüre?«, fragte Leo erstaunt.
    »Ich«, korrigierte sie ihn. »Ihr dagegen, padre , werdet vorne Einlass finden.«
    Während sie in einer Seitengasse verschwand, betrachtete er das Haus, zu dem sie ihn geführt hatte. Es war breit und dreistöckig, aus Naturstein erbaut wie die meisten Häuser hier, und es strahlte Wohlstand und Gediegenheit aus. Einige Fenster standen offen, er sah Kerzenlicht, und der Duft nach Gebratenem schlug ihm entgegen, der seine Magensäfte kitzelte.
    Im heimischen Kloster galten strenge Speisegebote, denen er sich klaglos unterwarf, doch für unterwegs hatte schon Franziskus den Brüdern erlaubt zu essen, was ihnen angeboten wurde. Inzwischen war Leo wieder an Herzhaftes gewöhnt, und langes Fasten fiel ihm richtig schwer. Doch so verlockend, wie es hier duftete, hatte selten etwas gerochen.
    »Padre?« Eine Tür ging auf, und er sah einen breitschultrigen Mann mit einem stattlichen Bauch im Eingang stehen. »Sono il padrone, Vasco Lucarelli. Benvenuto nella mia casa!«
    Der Mann hieß Lucarelli, war der Hausherr und hieß ihn freundlich willkommen. Leo hatte jedes Wort verstanden.
    Er begann erleichtert zu lächeln.
    » Vengo di Germania, sono padre Leo e voglio … « , begann er
zuversichtlich, doch an der zweifelnden Miene seines Gegenübers sah er, dass der ihn nicht ganz verstand.
    »Un momento!« Der Mann war plötzlich verschwunden.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er wiederkam, dieses Mal in Begleitung einer jungen Frau. Das helle Kleid, die dunklen Haare, die sprechenden Augen – sie war es, sie und keine andere. Die Unbekannte aus San Rufino, die er mit seinem Körpereinsatz vor dem Pfeil geschützt hatte!
    »Mia figlia Stella« , sagte Lucarelli voller Stolz. »Parla benissimo il tedesco.«
    Stella starrte ihn an wie eine Erscheinung. Ihre Lippen öffneten sich und schlossen sich wieder, ohne dass sie auch nur einen Ton herausbekommen hätte. Dann verdrehte sie die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf.
    Leo verstand sofort, was sie ihm damit sagen wollte. Der Vater wusste nichts von dem Anschlag vor der Kirche – und er sollte besser auch nichts davon erfahren. Später würde er vielleicht Gelegenheit haben, sie nach den Gründen zu fragen. Fürs Erste genügte, ihr deutlich zu machen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Er nickte kurz.
    Ihre Züge entspannten sich sichtlich.
    »Non essere timida, Stella!« , ermunterte sie der Vater. »Avanti, parla finalmente! Nostra casa è la vostra casa, padre – entrate!«
    Das kleine Lächeln, das sie Leo schenkte, war freundlich und warm.
    »Seid herzlich willkommen, Padre Leo«, sagte sie im leicht singenden Tonfall seiner Mutter, der ihn auch beim zweiten Hören nicht minder tief berührte. »Und tretet bitte näher! Unser Haus sei auch Euer Haus!

Zwei
    S ie wirkte so abgezehrt, dass Leo erschrak.
    Wann mochte sie zum letzten Mal etwas gegessen haben? Was da vor ihm lag, schien ihm kaum mehr als ein Knochenbündel, das unter dem groben Stoff der Kutte zu verschwinden drohte. Das Gesicht, eingerahmt von der Haube, die dem schmalen Kopf etwas Theatralisches verlieh, war ein Dreieck mit riesigen dunklen Augen, die so tief in den Höhlen lagen, als schauten sie nach innen. Selten zuvor hatte er so gespenstisch weiße Haut gesehen. Es musste Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückliegen, dass Chiara sich hinaus

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