Braut von Assisi
die Wände zu beben schienen.
»Gli uomini!« , sagte er. »Hanno sempre paura!«
Das saß. Dass Männer und damit auch er feige sein sollten, wollte Leo so nicht stehen lassen. Er biss die Zähne zusammen und streckte dem Bären tapfer den Arm entgegen, doch Orsino schien inzwischen auf eine neue Methode verfallen zu sein. Er drängte seinen Patienten zu der provisorischen Liege unter dem kleinen Fenster und hieß ihn, sich dort ausstrecken.
Das kleine Messer in Fra Orsinos Hand sah Leo erst, als er es bereits in seiner Armbeuge angesetzt hatte. Hellrotes Blut sprudelte aus dem Schnitt und wurde in einem Tongefäß aufgefangen. Er schloss die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken, bis die Prozedur endlich vorbei war.
Zu seinem Erstaunen fühlte er sich ausgeruht und um einiges frischer, als Orsino ihn eine ganze Weile später wieder aufstehen ließ. Der Kopf war wie befreit, und sooft er die Lider auch schloss und wieder öffnete, die vorherige Benommenheit war und blieb verschwunden.
»Grazie mille!« , sagte Leo bewegt. »Mi sento come …«
»… un ragazzino« , vervollständigte der Bär. »Molto bene!«
Leo beließ es bei dem schmeichelhaften Jünglingsvergleich,
wenngleich er ihn als übertrieben empfand. Doch es fühlte sich gut an, wieder entspannt gehen und sich bewegen zu können, ohne diesen dumpfen Schmerz, der tagelang alles beeinträchtigt hatte.
Sein nächster Weg führte ihn zum Abt des neuen Klosters, ein sehniger Mann mit asketischen Zügen, der die Augen zusammengekniffen hatte, als scheuten sie das Licht. Abt Matteo erwartete Leo im Kreuzgang, einem imposanten Geviert mit ziselierten Säulenkapitellen, ganz anders als die stille, einfache Friedlichkeit von San Damiano, in der Suor Magdalena nun die ewige Ruhe gefunden hatte.
Schon beim Näherkommen überfielen Leo erneut bereits bekannte Zweifel. Wie sollte er Matteo seine Mission verständlich machen? Er konnte nur hoffen, dass Johannes von Parma, der Generalminister der Franziskaner, den Abt von Sacro Convento darüber in Kenntnis gesetzt hatte.
Zu seiner Überraschung jedoch sprach Matteo Deutsch, den rauen, kehligen Dialekt der Tiroler Alpen, dem Leo während seiner Reise bereits begegnet war.
»Ist es jetzt an dir, der Ketzerin Chiara beizustehen?«, sagte der Abt statt einer Begrüßung. »Dann sieh dich besser vor, Bruder Leo aus dem fernen Deutschen Reich, denn würdige Männer sind bereits vor dir daran kläglich gescheitert. «
»Ich bin beauftragt, Madre Chiaras Anliegen zu prüfen«, erwiderte Leo bemüht diplomatisch, obwohl sich in ihm nach der barschen Anrede alles verschloss. »Sie möchte …«
»… den Platz des heiligen Francesco einnehmen, ja, sie will ihn regelrecht überflügeln, jetzt, da er tot und begraben ist und sich nicht mehr dagegen wehren kann. Doch das darf ihr nicht gelingen – niemals! Ein Weib, das von der Sündenmutter Eva abstammt, schickt sich an zu zerstören,
was wir in Schönheit und Erhabenheit errichtet haben. Welch Größenwahn, den wir verhindern müssen!«
Was meinte er damit? Das Kloster? Die riesige Doppelkirche, in deren Schatten es sich duckte? Oder etwas ganz anderes?
Aus seinen Worten sprach so viel Abneigung, ja sogar kaum verhüllter Hass, dass Leo unwillkürlich stehen geblieben war. Eigentlich hatte er Abt Matteo nach Suor Magdalena ausfragen wollen, doch wie würde der erst reagieren, wenn er noch eine zweite Frau ins Spiel brachte?
»Komm!« Der Abt winkte ihn energisch zu sich. »Unser Werk in Stein und Glas wird dir meine besorgten Worte noch anschaulicher machen.«
Leo folgte ihm in tiefster Skepsis. Über eine Seitentür betraten sie die Unterkirche, in der es so dämmrig war, dass man leicht über seine Füße hätte stolpern können. Der Abt schien zu ahnen, was in seinem Besucher vorging.
»Höllenhügel, so hat man in Assisi diesen Berg einst genannt«, sagte er. »Hier haben früher die Hinrichtungen stattgefunden. Doch Francesco wollte unbedingt an diesem Platz begraben werden, weil ja auch Jesus auf Golgata gestorben ist.«
Nach und nach gewöhnten sich Leos Augen an das unbestimmte Licht. Die Kirche war niedrig, starke Gewölbebögen schienen ein nachtblau bemaltes und mit goldenen Sternen geschmücktes Firmament zu stützen. An den Wänden entdeckte er farbige Szenen aus dem Leben Jesu, doch viele Stellen waren noch kahl und unbemalt.
»Die größten Künstler des Landes werden hier zu tun bekommen.« Jetzt troff Abt Matteos kehlige Stimme vor
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