Braut von Assisi
schien allerbester Laune, als hätte die hässliche Auseinandersetzung bei der Schneiderin niemals stattgefunden. Er warf Stella verliebte Blicke zu, tastete unter dem Tisch nach ihrer Hand und drückte sie so leidenschaftlich, dass sie beinahe aufgeschrien hätte.
Nach und nach entspannte sie sich.
Es gab Minestrone, gut gewürztes Kalbfleisch, gebratene Barben sowie Forellen und Renken aus dem Trasimener See, die frisch gefangen heute angeliefert worden waren, danach Mandel- und Rosenkonfekt. Der Wein war dunkel und süffig, und nach zwei zu rasch getrunkenen Bechern spürte Stella, wie er in ihrem Kopf kreiste und ihre Zunge lockerer machte.
Jetzt begann auch sie zu scherzen, was Ilaria und besonders Carlo mit Vergnügen aufnahmen, und schon bald herrschte eine fröhliche Stimmung am Tisch, die immer ausgelassener wurde. Irgendwann zog Federico seine Laute hervor und begann zu spielen, erst leise, zarte Melodien, schließlich jedoch ein ausgelassenes Tanzlied.
»Komm!« Carlo streckte Stella die Hand hin. »Lass uns tanzen, mein Täubchen!«
Sie folgte ihm, nachdem Simonetta ihr aufmunternd zugenickt hatte, setzte die ersten Schritte noch zögernd und vorsichtig, ließ sich dann aber von dem Schwung der Weise und dem anfeuernden Klatschen der Tischgesellschaft mitreißen.
Mittendrin hielt Carlo plötzlich inne.
»Was hast du?«, rief Stella.
Sein Gesicht wirkte auf einmal wie erloschen. Da begriff sie. Das Samtband hatte sich gelöst und war unbemerkt zu Boden gefallen. Carlo starrte auf die Male an ihrem Hals.
»Was ist das?« Seine Stimme klang dumpf. »Wer hat dir das beigebracht?«
Auch Simonetta war aufgesprungen und baute sich breitbeinig vor Stella auf.
»Das möchte ich allerdings auch wissen«, zischte sie und hob bereits die Hand wie zum Schlag. »Rede, Mädchen, rede!«
Einen Moment lang war es sterbensstill im Raum.
Dann ertönte Ilarias glockenhelles Lachen. »Ich natürlich«, rief sie glucksend. »Wer sonst? Auf dem Heimweg von San Rufino hat eine Wespe mein armes Schwesterchen angefallen und dreist gestochen – und ihr wisst doch, wie heftig sie immer darauf reagiert! Da hab ich das Gift einfach ausgesaugt – die scheußlichen Male hat sie mir zu
verdanken. Tut mir leid! Künftig werde ich versuchen, mich geschickter dabei anzustellen.«
Carlo zog Stella stürmisch in seine Arme, ohne sich um die Anwesenden zu kümmern.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen«, murmelte er an ihrem Ohr. »Aber allein die Vorstellung, ein anderer könnte dich berühren, macht mich rasend vor Eifersucht. Für einen entsetzlichen Augenblick dachte ich, du …«
»So wenig vertraust du mir?«, fragte Stella mit klopfendem Herzen.
»Nein, nein«, widersprach er und drückte sie so eng an sich, dass sie nach Luft ringen musste. »Es ist nur, weil ich dich so sehr liebe, dass ich dich mit keinem teilen kann.«
»Ich ersticke!«, protestierte Stella. »Lass mich los, bitte!«
»Erst, wenn du mich geküsst hast.«
»Hier – vor allen?«
»Vor allen! Du bist meine Braut. Ich bestehe darauf.« Seine Lippen senkten sich auf ihren Mund und öffneten ihn, und nach einer Weile erwiderte Stella den Kuss.
In diesem Moment erschien Leo.
»Da ist ein Mann an der Tür, der den padrone unbedingt sprechen möchte«, rief er. »Es sei sehr wichtig …« Er verstummte. Sein Gesicht war fahl geworden.
Stella starrte ihn schweigend an. Ihr Herz klopfte so laut gegen die Rippen, dass sie Angst hatte, er könne es hören.
Manchmal ist es zu spät für ein Zurück, dachte sie voller Bitterkeit. Genauso, wie ich es Euch heute im Eichenwald gesagt habe. Spätestens jetzt wisst Ihr es auch, Padre Leo!
Drei
D ie neue Tonsur belebte Leos Sinne und blies frischen Wind in seine Gedanken. Als ob sein Mitbruder gespürt hätte, worauf es gerade ankam, setzte er die Klinge besonders gnadenlos ein. Gleich büschelweise rieselten hellbraune Locken auf den steinernen Boden, mit Silber vermischt, was Leo erstmalig mit Erstaunen registrierte.
»Adesso sei di nuovo un monaco vero!« , verkündete der Bruder mit der großen Lücke zwischen den Schneidezähnen zufrieden, nachdem er sein Werk vollendet hatte.
Leo, der mit seiner Rechten die beachtliche Kahlstelle auf der Kopfhaut betastete, die der andere ihm soeben beigebracht hatte, nickte zustimmend. Ja, er war ein Mönch – und nichts anderes auf der Welt wollte er auch sein!
Die letzten Tage mit all ihren Zweifeln und inneren Krisen schienen auf einmal überwunden. Er hatte
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