Braut von Assisi
Zufall, dass sie sich begegnet waren. Aber falls sie ihn gezielt abgepasst hatte – wie und von wem konnte sie gewusst haben, wann er wo sein würde?
Leo schüttelte den Kopf, um unnütze Hoffnungen schon im Ansatz zu verscheuchen. Selbst wenn er jene Unbekannte wiederfinden würde, konnte er sie als Übersetzerin nicht mit zu Fra Giorgio nehmen. »Komm allein«, hatte der ihn beschworen. Mit einer Frau an seiner Seite würde der Eremit ihm nichts verraten – und wenn sie seine Sprache noch so gut verstand.
Irgendwann war er bei einem noblen zweistöckigen Wohnhaus in der typischen Bauweise Assisis angelangt, vor dem sich ein kleiner quadratischer Platz öffnete.
»La casa del santo« , rief ihm ein zahnloses Weiblein zu, das an fremde Besucher gewöhnt zu sein schien. Sie zeichnete das Kreuz auf Stirn und Mund und verschwand danach hinter einer Tür.
Hier also hatte Franziskus als Kind und junger Mann gelebt! Hier hatte er verschwenderische Feste gefeiert und das Geld seines reichen Vaters in vollen Zügen ausgegeben. Hier war aber auch seine innere Umkehr erfolgt, und er
hatte sich öffentlich entblößt, um seine leidenschaftliche Liebe zur Armut unter Beweis zu stellen.
Ehrfürchtig ließ Leo seine Hand über die ungleichmäßigen Steine gleiten. Das Haus stand leer, wie er unschwer erkennen konnte, als er es näher betrachtete. Alle Fenster waren verriegelt. Es war unbewohnt, schon seit langen Jahren, so jedenfalls erschien es ihm.
Plötzlich war es, als wolle alle Kraft aus seinem Körper weichen. Wohin er auch kam, überall taten sich Hürden und Barrieren auf, sichtbare und unsichtbare, als sei ein böser Geist entschlossen, ihn aufzuhalten und in seinen Erkundigungen zu blockieren. Er sehnte sich nach einem Ort, an dem er eine Weile ausruhen konnte, bevor er zu den Lucarellis zurückkehrte, um von dort aus wieder zu den Carceri aufzubrechen und Fra Giorgio erneut zu befragen, dieses Mal anders.
Unschlüssig ging er weiter, bis er plötzlich innehielt. Da war sie wieder, jene Taverne mit dem Bogen, die er an seinem ersten Abend in Assisi besucht hatte. Und obwohl er sie nicht gerade in bester Erinnerung hatte, trat er doch ein.
Ob er hier die Frau wiedersehen würde, die ihn zum Haus der Lucarellis geführt hatte? Eine unbestimmte Hoffnung trieb ihn.
Drinnen roch es nach Gebratenem, nach menschlicher Gesellschaft – genau das, was ihm gerade guttun würde.
Er sank auf eine Bank und winkte der Wirtin. Während sie ihm dunklen Wein einschenkte und seine Bestellung entgegennahm, ließ er die Blicke schweifen.
Ein paar Städter, dazu einige Bauern, die direkt vom Markt zu kommen schienen und sich mit ihren sauer verdienten Kupfermünzen an Wein und fettigen Bratenstücken labten. In der Ecke saßen zwei Männer in dunklen Umhängen, von denen einer auf den anderen leidenschaftlich
einredete, während der andere nur ab und an nickte. Sehr rasch warfen sie ein paar Münzen auf den Tisch, erhoben sich und verschwanden grußlos nach draußen.
Von der Frau, nach der er Ausschau gehalten hatte, keine Spur, auch nicht, als er fertig gegessen und getrunken hatte und die Taverne schließlich wieder gestärkt für neue Taten verließ.
»Du hast mich gerettet!«, wiederholte Stella. »Was hätte ich ohne dich nur gemacht? Hast du ihre Augen gesehen? Wie ein Geier wollte Simonetta sich schon auf mich stürzen.«
»Das versicherst du mir nun schon seit genau zwei Tagen«, wehrte Ilaria lachend ab. »Und so schlimm, wie du tust, ist Mamma doch gar nicht! Die Doppelhochzeit bedeutet ihr alles, das weißt du ebenso gut wie ich. Wenn da etwas dazwischenkäme, das würde sie nicht überleben. Also, Signorina Übermütig: Vielleicht denkst du beim nächsten Mal vorher nach, bevor du dich wieder in derart knifflige Situationen bringst.«
Sie öffnete das Fenster und spähte hinaus.
»Zum Glück ist ja alles noch einmal gut gegangen!« Erneut wandte sie sich Stella zu. »Und wenn Carlo erst einmal aus Perugia zurück sein wird, hat er garantiert alles vergessen. Was hat er dort eigentlich zu tun, so kurz vor der Hochzeit?«
»Er will noch einmal mit seinem Vater sprechen«, erwiderte Stella, über die schimmernde Haube gebeugt, auf der sie kleine Perlen befestigte. Die Brauthaube eigenhändig zu besticken gehörte zum Brauchtum in Assisi, gleichgültig, ob sie nun aus einfachem Stoff genäht war, wie bei den meisten Hochzeiterinnen, oder wie in Stellas Fall aus Damast
und kostbarer Spitze. »Und ihn dazu bewegen,
Weitere Kostenlose Bücher