Braut von Assisi
er sich anstrengen, ein halbwegs gelassenes Gesicht zu machen, während innerlich sein Ärger wuchs. So sicher war er sich gewesen, die Schwestern von San Damiano in Widersprüche verwickeln zu können, sobald er sie einzeln über Magdalena befragte. Doch anstatt endlich tiefer und damit der Wahrheit zumindest ein Stück näher zu gelangen, prallte er an den glatten, viel zu einheitlichen Antworten ab, die ihn immer mehr davon überzeugten, dass die Nonnen sich untereinander abgesprochen hatten.
Welchen Anteil Suor Regulas Übersetzung daran besaß, die notgedrungen erneut als seine Dolmetscherin fungierte, vermochte er nicht genau zu sagen. Ihre Miene war unbewegt, während sie sprach, nur gelegentlich meinte er in ihren dunklen Augen etwas wie Unwillen oder sogar Zorn aufblitzen zu sehen.
Besonders, als er schließlich Suor Amata befragte, eine schmale, blutjunge Nonne mit gewölbten Lidern, gerade erst dem Noviziat entwachsen, die als Letzte in San Damiano eingetreten war.
»Magdalena war wie eine Mutter zu mir«, sprudelte sie hervor, nachdem sie ihre anfängliche Schüchternheit abgelegt hatte. Ihre farblosen Wimpern waren in ständiger Bewegung. Mit ihren leicht vorstehenden Zähnen erinnerte
sie ihn ein wenig an ein Kaninchen. »Ich durfte immer zu ihr kommen, wenn mich etwas bedrückte, wenn ich ärgerlich war oder mich arges Heimweh plagte. Manchmal hat sie mich sogar mit der Grauen spielen lassen. Du musst wissen, Fra Leo, so heißt nämlich ihre geliebte Katze.«
Sogar Regulas gemessene Übersetzung verriet noch das schwärmerische, leicht erregbare Temperament der jungen Frau. Plötzlich schien sie sich zu besinnen, was geschehen war. Die zarte Röte auf ihren Wangen verschwand, sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann bitterlich zu weinen.
»Sie war die Güte in Person. Ein Engel auf Erden, so ist sie mir vorgekommen«, rief sie. »Aber ein Engel, der oft sehr traurig war. ›Wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen könnte!‹, hat sie immer wieder zu mir gesagt. ›Bis zu jenem einen einzigen Tag, dann würde ich ganz sicherlich niemals mehr meine …‹«
Regula war abrupt in ihrer Übersetzung verstummt, während Amata unter Tränen weiterredete.
»Was ist?«, fragte Leo irritiert. »Wieso hörst du mittendrin einfach auf? Mach weiter! Ich muss alles erfahren, was sie zu sagen hat.«
»Siehst du denn nicht, unter welch innerem Druck sie steht?«, kam Regulas griesgrämige Antwort. »Sie gehört ohnehin zu jenen Geschöpfen, die überall das Gras wachsen hören – und das in ihrer Einbildung dann auch noch für die Stimme Gottes halten. Jahre werden ins Land gehen, Jahre, bis wir aus ihr eine halbwegs brauchbare Schwester gemacht haben, die zum Wohl unserer Gemeinschaft beiträgt. «
Er starrte sie an, keineswegs überzeugt.
Möglich, dass sie die Wahrheit sagte, aber auch ebenso gut möglich, dass sie sie bewusst verdrehte. Wenn er doch
nur jemand an seiner Seite hätte, auf den er sich ganz und gar verlassen könnte!
Für einen Augenblick kam ihm sogar Abt Matteo in den Sinn, der beide Sprachen beherrschte, doch diesen Gedanken verwarf Leo schnell wieder. Dem Abt gegenüber würden die Schwestern von San Damiano erst recht auf der Hut sein, das bewiesen die Notizen, die er sich während seiner Befragung als Gedächtnisstütze gemacht hatte. Viele der Nonnen schienen dem Bruderkloster regelrecht zu misstrauen, fürchteten von den Mönchen Einschränkung oder Bevormundung. Nicht einmal Padre Eligio, den schwer erkrankten Beichtvater, den er bislang noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, schätzten offenbar hier alle uneingeschränkt.
Energisch wandte Leo sich direkt an Suor Amata, die sich inzwischen wieder halbwegs gefasst hatte, und stellte auch ihr die Frage, die so viele andere vor ihr bereits energisch verneint hatten.
»Magdalena – lei sapeva scrivere?«, fragte er und hoffte inständig, sie würde ihn verstehen.
Zu seiner Überraschung erfolgte weder sofortiges Kopfschütteln noch das verächtliche Schnalzen, wie es einige der älteren Nonnen bei dieser Frage von sich gegeben hatten.
Amata schien zu überlegen, dann zuckte sie die Achseln.
»Non lo so« , sagte sie leise. »Forse sì.«
Die Tote hatte also vielleicht doch schreiben können – allerdings wusste die junge Nonne es nicht genau.
Das war mehr, als er bislang herausbekommen hatte. Doch leider erlaubten Leos karge Sprachkenntnisse es nicht, eigenständig und ohne Regulas Hilfe weiterzubohren.
»Hast du
Weitere Kostenlose Bücher