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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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muss es an sich genommen haben. Oder Magdalena hat es irgendwo versteckt. So, wie sie es an sich gepresst hatte, muss es sehr kostbar für sie gewesen sein.«
    Kaum hatte Regula diesen Satz fertig übersetzt, bellte sie Amata abermals regelrecht an. Die jedoch zuckte mit keiner Miene, sondern antwortete nicht minder heftig in ihrer Muttersprache.
    »Wenn ich freundlicherweise auch erfahren dürfte, worum es soeben ging?«, sagte Leo in das angespannte Schweigen hinein, das dem doppelten Ausbruch folgte.

    »Ich habe sie lediglich gefragt, warum sie von alldem bislang nichts gesagt hat.« Regula war anzumerken, wie schwer ihr jedes Wort fiel, das sie Leo preisgeben musste.
    »Und wie hat Amatas Antwort gelautet?«
    »Magdalena war wie eine Mutter zu ihr. Und eine Mutter verrät man nicht.«
    Er musste allein sein, wenigstens für eine kurze Weile. Er schickte die beiden Schwestern hinaus und stützte den Kopf in die Hände. Die Düsternis des niedrigen Raumes, in dem er nun schon seit Stunden ausharrte, schlug ihm auf das Gemüt. Wahrlich kein geeigneter Ort, um friedlich Leib und Geist zu stärken, während man den Lesungen aus der Heiligen Schrift lauschte, bevor es erneut zu Gebet und Arbeit ging. Versuchte Madre Chiara, die jegliche Nahrung verachtete, wie allgemein bekannt war, und ihren Leib seit Jahrzehnten durch strenges Fasten unterjochte, auch hierin den anderen Schwestern ihren Stempel aufzudrücken?
    Was aber geschah, wenn eine der Frauen sich dagegen wehrte, wie Magdalena es offenbar getan hatte, die sichtlich wohlgenährt und damit offenbar alles andere als eine Asketin gewesen war? Gab es dann Rügen, Strafen – irgendwann vielleicht sogar den Ausschluss aus der Gemeinschaft?
    Ihr Buch, in das sie geschrieben hatte und das möglicherweise Aufschluss darüber und über vieles andere geben könnte, war verschwunden, das jedenfalls hatte Suor Amata behauptet, und er besaß keinerlei Anlass, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln.
    Sollte er das ganze Kloster nach dem Buch durchsuchen?
    Sich überallhin Zutritt zu erkämpfen, ging weit über seine offiziellen Kompetenzen hinaus. Wo sollte er außerdem
zu suchen beginnen? Die frommen Schwestern würden Mittel und Wege finden, um ihn daran zu hindern, so viel war gewiss.
    Und dennoch musste das Geheimnis um Magdalenas Tod hier in diesen Mauern zu finden sein, das sagte ihm sein Gefühl, auch wenn sich dieses bislang noch nicht fassen ließ.
    Wieder flog Leos Blick über seine Notizen. Suor Beatrice, die er als eine der Ersten befragt hatte, Chiaras leibliche Schwester und Vertraute, war für den Schriftverkehr des Klosters zuständig. Das bedeutete, dass ihr sowohl Pergament- als auch Tintenverwaltung oblagen. Über Wochen hatte die junge Amata verräterische Flecken an Magdalenas Händen beobachtet. Das konnte nur bedeuten, dass die Tote wiederholte Male geschrieben haben musste. Was wiederum hieß, dass sie Tinte und Pergament verbrauchte – und das würde keinem aufmerksamen scriptor auf Dauer entgehen.
    Oder hatte sie sich eines bereits bestehenden Buches bedient und die ungeheure Mühe auf sich genommen, die Seiten zu säubern, um sie für ihre Zwecke zu nutzen?
    Leo, der als Novize im Ulmer Kloster endlose Stunden ein Palimpsest nach dem anderen hatte abschaben müssen und sich später beim Kochen von Schlehdorntinte die Hände böse verbrüht hatte, wusste, wovon er sprach.
    Er stand auf und ging nach draußen, wo Suor Regula mit verdrossener Miene wartete.
    »Ich möchte noch einmal Suor Beatrice sprechen«, verlangte er. »Bitte geh sie holen!«
    »Jetzt?« Die schwarzen Augen der Infirmarin glommen. »Aber sie ist doch bei Madre Chiara …«
    »Jetzt.« Der Nacken fühlte sich plötzlich freier an. »Ich bin sicher, die Äbtissin wird Verständnis haben.«

    Es dauerte nicht lange, dann öffnete sich die Tür zum Refektorium, und die Nonne trat mit Regula ein. Sie schien gelaufen zu sein, denn die Haut war rosig, und feine Schweißperlen standen auf ihrer hohen Stirn. Oder war es etwas anderes, das ihr Angstschweiß ins Gesicht getrieben hatte?
    »Bitte setz dich!« Leo deutete auf den Schemel ihm gegenüber. »Keine Angst, ich werde dich nicht lange aufhalten. Du kannst gleich wieder ans Krankenbett deiner Schwester zurück. Nur ein paar letzte Fragen.«
    Sie nickte kurz und hielt den Kopf dabei gesenkt.
    »In welchem Jahr bist du nach San Damiano gekommen?«
    Suor Beatrice sah ihn erstaunt an, nachdem Regula übersetzt hatte. »Als ich fast

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