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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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anderen beiden, ein feierlicher Empfang in einem armseligen Zimmer. Drei Hände. Bei näherer Betrachtung waren es in erster Linie sehr junge Hände.
    Marjorie konnte nicht anders, sie musste etwas sagen, als wäre sie die Vorsitzende. »Niemand«, sagte sie und räusperte sich, weil in dem Wort ein merkwürdiger Knacks mitklang, »niemand wird es jemals erfahren.«
    Es hätte zum Lachen sein können – zu einem anderen Zeitpunkt.
    »Niemand. Niemals«, sagte Esther.
    »Auch das Kind nicht?«, fragte Hans. Dies war der Punkt, bei dem er sich nicht so sicher war. Stundenlang hatten sie darüber gesprochen. Aber Esther war nicht von ihrer Überzeugung abgewichen, und Marjorie konnte sich hinter ihr verstecken.
    »Das ist die Bedingung«, sagte Esther, »die absolute Bedingung. Glaub mir.«
    Die drei Hände umschlossen sich fester, und es war nicht mehr möglich zu unterscheiden, von wem die Wärme kam. Ein Knäuel entschlossener Wärme.
    »Versprochen«, sagte Hans.
    »Versprochen«, sagte Esther.
    »Versprochen«, sagte Marjorie, und sie wollte sofort hinzufügen: »Es ist unser Kind, mein eigenes Kind«, weil das auch zu ihrer Abmachung gehörte und weil das ihr allergrößter Wunsch war, aber sie schluckte es herunter. Das Kind würde noch fast drei Monate lang in Esthers Bauch sein.
    Damit war alles gesagt. Und doch machte keine der Hände Anstalten, sich zu lösen. »Du musst verstehen …«, sagte Esther nach einer Weile. Sie warteten. Marjorie kniff leicht in die unterste Hand, denn sie war sich des Vertrauens bewusst, dass Esther ihnen entgegenbrachte. Sie warteten. Es kam nichts mehr.
    Hans nickte zum Zeichen, dass es gut war. Die Hände ließen einander los und zogen sich zurück. Zugleich blieben sie jedoch dort liegen, in der Mitte des Tisches, für immer ineinander verschlungen.
     
    An einem herbstlichen Tag, der mit einem dünnen, kalten Nebel begann, fuhr in den Morgenstunden ein schwarzer Vauxhall
Station Wagon
in das Naturgebiet, in dem der Wohnwagen auf sie wartete. Das Auto, zum Bersten voll gepackt mit Gepäck und Spannung, holperte behutsam über den unbefestigten Weg, auf dem rechts und links die hohen Grasbüschel schon gelb verfärbt waren, und fuhr weiter bis ans Ufer des Flusses heran. Auf einem gottverlassenen Fleck, inmitten des Geländes, unter einer Gruppe von Pinien, stand das hölzerne
Mobile Home
. Die Verlassenheit passte perfekt zu ihrem Plan. Der Wohnwagen, der auf einem Betonsockel stand und ein Dach aus Asbest hatte, war für ihren Aufenthalt von Hans sauber gemacht und repariert worden. Ein Aggregat würde sie mit Strom versorgen. Sein Motorrad hatte er schweren Herzens, doch ohne ein Wort des Wehklagens, verkauft. Von dem Geld hatte er den Vauxhall angeschafft. Es war ein gutes, geräumiges Auto, wenn auch ziemlich verwahrlost, sodass sie ihn recht billig erstehen konnten. Auch das war Teil ihres Plans gewesen. Jetzt drehte er den Zündschlüssel um, stieg aus und inspizierte die Umgebung. Er wollte einen Moment ohne die Mädchen sein.
    Marjorie sah, dass von dem Kadaver unter den nassen Sträuchern nicht mehr viel übrig war.
    »Kommst du?«, fragte Esther. Sie beobachtete Hans scharf. »Die Luft ist rein.«
     
    So schnell wie möglich räumten sie das Auto aus und verstauten ihren Besitz in dem Wohnwagen. Trotz Hans’ Bemühungen lag hier ein durchdringender Geruch nach Feuchtigkeit in der Luft. In der Mitte stand ein gusseiserner Allesbrenner. Der sollte den Wagen schon warm und trocken kriegen, erklärte Hans. Ansonsten sprachen sie nur das Nötigste und spitzten die Ohren nach Geräuschen, die die Ankunft von unerwünschten Topfguckern ankündigen würden. Sie wussten, dass ein paar vereinzelte Wohnwagen auf dem Gelände standen und auch, dass dort sogar andere Niederländer biwakierten. Aber sie hofften, dass die Weite und Öde des Terrains verhindern würde, dass man miteinander Kontakt aufnahm. Sie wurden allerdings erst ruhiger, als alles drinnen verstaut war und Esther sich, für die Außenwelt unsichtbar, hinten im Wohnwagen in ihre Ecke zurückgezogen hatte. Es war das kleinste Schlafzimmer, das man sich vorstellen konnte, nur von einer dünnen, von Hans eigens gezimmerten Wand vom Rest des Wagens abgetrennt, um so etwas wie Privatsphäre zu schaffen. »Da wären wir dann also«, sagte sie in lockerem Tonfall und ließ sich auf das Bett fallen. Marjorie wusste, was sie meinte. »Es ist doch nur für drei Monate«, sagte sie, um sie zu trösten, und zog die

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