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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Antwort gekommen. »Das erstaunt mich nicht«, sagte Marjorie, »auf diese Art wirst du nun zurückgewiesen.« »Du kannst froh sein, dass er so ein anständiger Kerl ist«, sagte Hans, »ein anderer hätte dir was angetan.« Dann schwiegen sie und dachten alle drei voller Mitleid an den armen Leon. Sie sahen einander an und lachten Tränen.
     
    Am anderen Ende des Wohnwagens, so weit weg wie möglich von Esthers Ecke, befand sich Hans’ und Marjories Schlafzimmer, das nicht viel größer war und ebenso beengt. Im Dunklen, auf einem viel zu kleinen Doppelbett, das in der Mitte beängstigend durchhing, feierten sie zu geregelten Zeiten ihre wiedergewonnene Ehe. Sie versuchten dabei das Quietschen der Spiralen und das eigene Gestöhne so gut es ging zu unterdrücken. Sie schliefen schlecht, durch die Anspannung und die Kälte. Flüsternd sprachen sie den Plan noch einmal durch. Hans zweifelte manchmal daran. Was machen wir hier nur, um Himmels willen? Dann redete sie auf ihn ein. Danach konnte sie jedoch selbst nicht so recht schlafen. Und auf der anderen Seite der Wand schlief man noch schlechter. Jede Nacht wachte Marjorie mindestens einmal auf, weil sie in dem Wohnwagen Gescharre und Seufzen hörte, dann das Entzünden eines Streichholzes. Sie blieb dann reglos liegen und lauschte, bis sich die Eingangstür öffnete und wieder schloss. Meistens war sie wieder eingeschlafen, bevor die Tür erneut aufging. Anscheinend verbrachte Esther nachts viele Stunden draußen in der Kälte. Sie sprachen nie darüber.
     
    »Was machen wir, wenn die Geburt schiefgeht?«, wollte Esther einmal während des Abendessens wissen. Das Baby bewegte sich viel und trat sie gerade in diesem Moment. Sie hatte die Hände auf den Bauch gelegt, um die kleinen Fersen zu fühlen. »Es geht nicht schief«, sagte Marjorie und dachte an das eine Mal im Onze-Lieve-Vrouwe-Krankenhaus, als die Oberschwester, eine Frau, die »die Mauer« genannt wurde, sich zwischen Kopf und Bauch einer Unglücklichen gepresst und das Kind mit ihrem ganzen Gewicht aus dem Bauch herausgedrückt hatte, während die Gebärende, die bereits zwei Tage und eine Nacht gequält worden war, um ihr Leben schrie. »Wenn es schiefgeht«, sagte Hans, »fahren wir
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ins Krankenhaus, und das war es mit unserem Plan.«
    »Es geht nicht schief«, wiederholte Marjorie.
    Jede freie Minute tüftelte Hans auf dem Gelände vor dem Wohnwagen an seinem Vauxhall herum. Er putzte, schmirgelte, lötete und betastete jedes Einzelteil.
    Am letzten Samstag im Juni fuhr er mit Marjorie zusammen in die Stadt, bis kurz vor die Tür des großen Krankenhauses, in dem sie damals – unvorstellbar, dass es nur ein Dreivierteljahr her war – zu ihrer grenzenlosen Empörung in die Wäschekammer abgeschoben worden war. Es war genau zur Besucherstunde. Mit der Nase hoch in der Luft, am Arm ihres Ehemannes, lief Marjorie schnurstracks durch zur gynäkologischen Station, schlenderte dreimal den Gang auf und ab, bis sie sah, dass die Schwestern die Wöchnerinnen ihrem Besuch überließen und sich selbst zum A
fternoon Tea
setzten. Dann schoss sie blitzschnell in die Materialkammer, um dort unter größter Anspannung alles, was sie brauchen würde, in die große Einkaufstasche und ihre Jackentaschen zu stopfen. Nabelbändchen, Monatsbinden, alles ging mit. Hans stand auf dem Gang Schmiere. »Ich bin um zehn Jahre gealtert«, stöhnte er, als sie kurz darauf vom Parkplatz herunterfuhren, »mir steht der Schweiß auf der Stirn.« Marjorie aber hämmerte auf das Armaturenbrett vor Freude und fühlte sich von einem alten, vertrauten Gefühl erfüllt.
     
    Im Juli machte der Winter ihnen zu schaffen. Sie hatten genug davon, durch den Wagen zu schleichen und Tee zu trinken und konnten einander nur noch schwerlich ertragen. Esther versank in eine merkwürdige Gleichgültigkeit. Ihr Gesicht sah aufgequollen aus. Hans schoss bei jedem kleinen Seufzer hoch. Seine Bewerbungen hatten einen Bürojob in Wellington ergeben, bei Woolworths. In drei Wochen sollte er anfangen. Er hatte seine Arbeit als Zimmermann in Christchurch gekündigt und lungerte nun ebenfalls den ganzen Tag in dem kleinen Wohnwagen herum. Er hackte draußen einen übertrieben großen Vorrat Holz für den Ofen und lackierte die Kratzer am Auto. Vor lauter Anspannung hatte keiner von ihnen Appetit. Marjorie klagte über Magenschmerzen. Viel länger durfte es nicht mehr dauern. Alles war vorbereitet, die Koffer waren gepackt. Der Plan war endlos

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