Brautflug
ihre Augenfarbe war, sagte sie immer bernsteinfarben, was Marjorie als geziert empfand. Jetzt fragte sie sich, was da los war, etwas Kompliziertes spielte sich auf der anderen Seite des Tisches ab. Misstrauisch, in Alarmbereitschaft, wartete sie ab. Sie sah zu, wie Esther aufstand und fast zögernd ihre Jacke aufknöpfte. Wie eigenartig sie das macht, dachte Marjorie, aus allem muss sie eine Show machen. Gefesselt folgte sie den Bewegungen der langen, schlanken Finger, wie sie einen Knopf nach dem anderen lösten, dann die Jacke aufschlugen, diese dann nach unten gleiten ließen, über den Arm legten und schließlich über den Stuhl hängten. Marjorie sah zwar den Bauch, aber das Bild drang nicht bis in ihr Gehirn vor.
»Nicht erschrecken«, sagte Esther.
Der Schock explodierte in ihrem Körper. Irgendwo weit weg machte Esther eine halbe Drehung, sodass Marjorie sie im Profil sehen konnte. Lichtjahre voneinander entfernt. Krank von dem Mädchen, das ihr gegenüberstand, versuchte sie, sich auf den Bericht der heiseren Stimme zu konzentrieren. Sie hasste sie, ein echter, tiefer Hass. Und sie versuchte dennoch zuzuhören, um nicht anzufangen zu schreien.
»Ich bin in der fünfundzwanzigsten oder sechsundzwanzigsten Woche.«
Schnell rechnen kann man nicht, wenn man so viel Hass im Kopf hat. Aber dass es nicht lange nach ihrer Ankunft in Neuseeland passiert sein musste, konnte sie gerade noch errechnen. Jetzt musste Leon doch diejenige heiraten, die ihn in den Fluss geschubst hatte.
»Es wird etwa Mitte Juli geboren.«
Aus Marjories Innerem sprang eine Furie hervor auf die andere Seite des Tisches, krallte scharfe Nägel in die Locken, schlug den Kopf so hart auf die Tischplatte, dass sich die Schädelsplitter mit dem Holz vermischten. Im Juli würde das Kind geboren werden. »Ach«, sagte sie mit dünner Stimme, »wie lange weißt du das schon?« Die ganze Zeit, in
ihrem
Zimmer, das sie so wohlwollend geteilt hatte, war Esther schwanger gewesen. Voller Scham erinnerte sie sich an die Gespräche kurz vor ihrer Hochzeit, die Anspielungen, die sie selbst auf die anstehende Hochzeitsnacht gemacht hatte, über ihren Status als erwachsene Frau, den sie dachte, Esther vorauszuhaben. Die ganze Zeit über hatte die so genannte Freundin nicht den Mund aufgemacht. Sie selbst hatte alles erzählt, von den Nonnen, dem gestohlenen Brot, alles, ohne jegliche Zurückhaltung. Von Esther war nie etwas gekommen.
»Ihr wart gerade verheiratet, als ich anfing, es zu vermuten. Alles roch so anders. Im Januar wusste ich es dann sicher.«
»Du musst doch die ganze Zeit über nicht mehr deine Regel gehabt haben.«
»Die ist bei mir nie regelmäßig gewesen. Ich dachte, dass ich sie wegen des langen Flugs nicht mehr bekam. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht gedacht«, fügte sie dann hinzu.
Ihre Worte tippelten durch den Raum, der mit hauchdünnem Glas gefüllt war, sodass jedes unerwartete Geräusch einen möglichen Bruch zur Folge hatte, ein Bruch mit scharfen Kanten, an denen man sich verletzen konnte. »Ach.« Sie starrte auf die langen Finger, die unwillkürlich über den Bauch glitten, und versuchte, dabei nichts zu empfinden. »Und Leon?«, fragte sie.
»Es ist nicht von Leon.« Wag es nicht, etwas zu sagen, kam ein düsteres Signal. In Gedanken, mit klopfendem Herzen, ging Marjorie in Windeseile alle Kandidaten durch, von Ray, dem Personalchef, über die
Mates
von Hans, die Strandfreunde bis hin zu Gordon, Peggys Ehemann, alles war möglich, bei der ewigen Flirterei und den weit offenen Blusen. Ekelhaft.
»Von wem denn dann?«
Esther zog die Schultern hoch. Als würde das keine Rolle spielen. »Oh, ich weiß es nicht.« Natürlich, das war die Konsequenz daraus, ein Abend hier, ein Abend dort, einmal mit wiegenden Hüften über den Strand laufen. Vater unbekannt. Wieder zuckte Esther die Schultern, ganz offensichtlich war ihr das egal. Doch auf einmal sah sie todmüde aus. Die ganze Bedeutung drang zu Marjorie hindurch. Eine unverheiratete Mutter. Erschrocken schlug sie die Hände vor den Mund. »Wie willst du das machen? Wie geht es jetzt weiter?«
Stille, lange Stille. Esther legte die Arme über ihren Bauch und verschanzte sich dahinter, sie richtete sich auf. Marjorie sah sie entlang des Weges irren, ihr wurde nachgejohlt, sie wurde ausgepfiffen und verstoßen.
»Ich will es nicht haben.«
Das hättest du dir früher überlegen müssen. Wenn du so schlurig mit deinem Leben umgehen willst, dann mach nur weiter so. Aber
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