Brautflug
und danach dachte, dass sie sechs Äxte wollte, bis er begriff, dass sie »six iggs!« meinte. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits vor Scham fast gestorben. Und dann kam noch das Elend mit dem Bezahlen, denn mit dem Geld hier, den
Pennies
und
Pounds
, kam sie überhaupt nicht zurecht. Schüchtern war sie schon immer gewesen, nun wirkte sie allerdings richtiggehend menschenscheu. Derk und sie sprachen zu Hause noch eine Weile niederländisch, doch jetzt, wo die Kinder größer wurden, nahm das immer weiter ab. Ihre Kinder waren
native speaker
geworden, fanden Holländisch blöd und wollten nichts damit zu tun haben. In der letzten Zeit kam es vor, dass Ada ihre eigenen Kinder nicht verstand.
Und doch redete sie sehr viel, in ihrem Kopf. Unaufhörlich. Seit dem ersten Brief hatten ihre Gedanken endlich ein Ziel, einen Empfänger. Das Erzählen dauerte den ganzen Tag über an und veränderte die Art, wie sie ihre Umgebung betrachtete. Beim Sprechen putzte sie alles blank, bis es funkelte, und etwas von dem Funkeln brach zu ihr in die Wirklichkeit hindurch.
An ihren eigenen Briefen arbeitete sie eine ganze Weile. Es fiel ihr nicht besonders leicht, ihre Gedanken in Worte zu fassen und aufs Papier zu bringen. Sie kaufte ein Schreibheft und nahm es überallhin mit. Darin machte sie Aufzeichnungen. Was machst du da, fragte Derk. Ach, nichts Besonderes, antwortete sie dann erschrocken.
Sie lebte ein heimliches Doppelleben. Auf dem Rad bei Wind und Wetter, wenn sie die Post austrug, beschrieb sie den Fluss, das Meer, das dumpfe Geräusch der Dampfschiffe und das Geräusch des ans Ufer schwappenden Wassers. Sie erzählte, wie sehr sie die Silhouetten der hohen Kräne im Hafen liebte. Es scheint, als würden diese ein eigenes Leben führen, schrieb sie, hoch über uns, ein bisschen einsam und unstabil, als wären sie nicht von Menschenhand erbaut. Von dem Regen und der Müdigkeit sprach sie nicht. An den Wochenenden schleppte sie ihre unwilligen Kinder mit auf windige Touren durch die Berge. In den Anfangsjahren hatte sie es unheimlich gefunden, doch dann hatte sie es immer mehr lieben gelernt: das Herumstromern und Klettern in den Bergen, vor sich die Weite der Täler und die Bergspitzen, der kalte Wind im Gesicht, der Ausblick über den Ozean, wenn die Raubvögel zum Greifen nah schienen. Derk sah keinen Sinn in diesen ziellosen Wanderungen. Er werkelte lieber an seinem Lieferwagen herum oder erledigte kleine Arbeiten für die Kirche. Damit hatte sie sich schon vor Jahren abgefunden, und nun kam es ihr sehr gelegen. Auf diese Weise brauchte sie nicht zu reden und konnte jeden Schritt, den sie während der Bergtour machte, später Frank beschreiben. In ihren Gedanken strich sie Sätze durch und radierte aus, formulierte neu und verbesserte wie eine Wilde. Wenn die Kinder weit vorne einen Hügel erstürmten und sie sich sicher war, dass man sie nicht beachtete, zog sie das kleine Notizheft aus der Jackentasche und notierte schnell ein paar Einfälle oder schöne Sätze, die ihm gefallen und sein Verlangen nach ihr noch verstärken würden.
Schick mir ein Foto von dir, schrieb sie. Nach einiger Zeit tat er das. Sie sah einen Mann, der lässig an einem Stapel Kisten lehnte, auf dem Kopf einen Cowboyhut, in dessen Schatten die durchdringenden Augen lagen. Er war breiter geworden, muskulöser und noch attraktiver, sie ließ sich mitreißen von dieser Verliebtheit, da er sich schließlich doch auf einem anderen Planeten befand, irgendwo, wo es niemandem schadete. Und du, schrieb er, wo bleibt dein Foto? Sie schickte eines, das Derk gemacht hatte, bei einem Picknick am Strand, bei dem er sich die ganze Zeit über die Sandflöhe aufgeregt hatte. Auf diesem Foto trug Ada einen Badeanzug, den sie hier gekauft hatte und der ihr gut stand. Die Sonne schimmerte in ihren blonden Haaren. Man sah, dass sie hübsche Beine hatte. Ein bisschen wie ein Filmstarfoto. Schnell steckte sie noch ein Foto von sich mit den drei Kindern dazu.
Über Derk zu schreiben fand sie schwierig, es fühlte sich an wie ein Verrat zu beiden Seiten hin, und sie verstrickte sich jedes Mal in erlogenen Beschreibungen, die mehr mit ihrem Verlangen als mit der Realität zu tun hatten. Sie versuchte es zu vermeiden. Fast so, als gebe es ihn nicht. Frank fragte nicht weiter nach.
Ihr Körper fing ebenfalls an zu phantasieren und erwachte allmählich. Das Verlangen in seinen Briefen war direkt und unumwunden, und sie erinnerte sich an ihr Erstaunen
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