Brautflug
während des Flugrennens über die Leichtigkeit, mit der er sie berührte. Jetzt trugen seine Worte sie regelmäßig auf den Heuhaufen von früher, den sie für eine Weile aus den Augen verloren hatte.
Niemand vermutete etwas, das machte es noch spannender. Wenn die wüssten, dachte sie, wenn sie sich pflichtbewusst mit ihren Einkaufstaschen durch den Dreck kämpfte, was bei mir gerade los ist. Dann lähmte ihr die Angst, entdeckt zu werden, für einen Moment die Glieder. Der anhaltende Strom von Briefen aus Martinborough fiel den Kollegen im Postamt natürlich auf. Clive, der Sortierer, der sie immer am Rücken kitzelte, ärgerte sie damit: Wer das denn wohl wäre, der ihr so oft schrieb, und ob Derk davon wüsste? Hier ist schon wieder ein Brief, fang ihn dir. Dann hüpfte Ada kichernd nach dem Arm in der Luft und versuchte, durch die Nähe ihres Körpers die Aufmerksamkeit von dem Brief zu lenken. Es ist ein entfernter Onkel von mir, sagte sie, und hoffte inbrünstig, dass er niemals bei Derk nachfragen würde. In diesen Momenten schätzte sie sich selbst glücklich, dass ihr Mann einen so unnahbaren Charakter hatte. Doch nach so einem Vorfall saß sie tagelang da und grübelte. Das Sicherste wäre es, die Briefe zu verbrennen, aber das brachte sie nicht übers Herz. Solange die Worte jedes Mal wieder eine neue Bedeutung annahmen, war es, als würden sie leben. Sie würden schreien, wenn sie ins Feuer geworfen würden.
Es gab einen Ort, an dem Derk unter keinen Umständen, wirklich niemals, nachsehen würde. Das war die Schublade, in der sie ihre intimsten Frauendinge verbarg, die Monatsbinden und ihre Unterwäsche. Darin versteckte sie die Briefe. Auf eine verbotene Weise passte es zusammen. Nachts schimmerte die Schublade verführerisch im Dunklen. Dann unterhielt sie sich mit ihr vom Bett aus, neben sich ihren schlafenden Ehemann.
Der Einzige, der davon wusste, war Gott. Er, der durch die Umschläge hindurch und hinter die Worte sehen konnte, kannte ihr verborgenes Leben. Er sah wahrscheinlich mit kummervollem Blick, dass sie täglich aus dem Leben flüchtete, das Er für sie vorgesehen hatte. Sie wagte nicht, daran zu denken. Vielleicht, hoffte sie einmal, ist es nicht so schlimm. Schließlich sind es ja nur Träume, wenn auch sündige Träume. In Anflügen von Optimismus hoffte sie, dass sich alles irgendwann, an dem Punkt, wo die zwei Linien zusammentreffen, von allein zum Guten wenden würde.
Ihre eigenen Briefe warf sie heimlich in den Postkasten, ohne Absender auf dem Umschlag, sodass beim Sortieren niemand etwas vermuten würde. Dabei passte sie stets gut auf, dass keine Bekannten in der Nähe waren, bevor sie solch einen Umschlag mit einer schnellen Bewegung in den Briefeinwurf gleiten ließ. Danach überwältigte sie stets ein verwirrendes Gemisch aus Schuldgefühl und Schönrederei; sie durfte es nicht, dennoch schadete sie damit niemandem, und es würde natürlich niemals etwas daraus werden. In den darauf folgenden Wochen phantasierte sie dann, wie seine Reaktion ausfallen würde, wenn er diesen oder jenen Satz las, er diesen oder jenen Teil ihres Textes studierte. Das tat sie genau so lange, bis ihr wiederum ein Brief von ihm im Postamt vor die Nase gehalten wurde. Danach glitt Ada dann am Fluss erneut auf den nassen Steinen in eine andere Welt, es folgten Wochen des Nachdenkens: Was in dem letzten Brief gestanden hatte, wie bedauerlich es war, dass die Realität so anders aussah, und wie beruhigend dennoch, dass sie sich nie mehr im Leben treffen würden.
Immer umfangreicher wurden ihre Briefe, und immer länger dauerte das Warten auf den nächsten; durch die Ungeduld und dadurch, dass sie inzwischen beide eine Kunstfertigkeit entwickelt hatten, die Briefe so attraktiv wie möglich zu gestalten, und das erforderte Zeit und Zuwendung. Es wurden keine läppischen Notizen hin- und hergeschickt. Sie erzählte von dem Dorf, in dem sie aufgewachsen war, und er erzählte von Indonesien und der Rückkehr mit seiner Mutter nach Holland. Manchmal erschrak sie darüber, was zwischen den Zeilen zu lesen war.
Es gibt ein Foto von meinen Eltern, auf dem sie nebeneinandersitzen, auf breiten Stühlen mit Armlehnen und hohen, geschnitzten Holzrücken. Das Foto ist auf Java aufgenommen. Die Stühle stehen unter dem Blätterdach eines Flamboyants. Meine Eltern sitzen im Schatten, die Sonne schimmert auf dem Rock meiner Mutter. Sie blicken ernst drein. Die Uhrenkette meines Vaters spannt über seiner Weste,
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