Brautflug
Kontrast von Schönheit und Verwundbarkeit einerseits und der harten Holzkiste und den brutalen Umständen andererseits. Vielleicht habe ich im ersten Moment hinter der beschlagenen Scheibe des Busses nicht mehr als das gesehen. Ich versuche nicht, es mir schönzureden. Ich hätte wissen können, wofür das Bild stand, ich hatte Deine Zweifel gehört an Deiner Zukunft mit dem Mann, der auf Dich wartete. Aber die wirkliche Bedeutung dessen, was ich sah, drang erst zu mir durch, als der Bus den Lieferwagen hinter sich gelassen hatte und Du aus meinem Sichtfeld verschwunden warst.
Wieder und wieder habe ich den Moment durchlebt. Durch diese Fensterscheibe hindurch sehe ich Dich in der Transportkiste hin und her rutschen. Und anstatt sofort in dem Moment, steigt erst viel später eine primitive Wut in mir auf, jedes Mal wieder; kann jemand, der so etwas tut, sie glücklich machen? Tausend Mal habe ich den Bus angehalten, den Bus vor dem Lieferwagen gewaltsam zum Halten gebracht. Bin vor den Lieferwagen gesprungen, um den Lieferwagen herumgelaufen. Habe Dir tausend Mal die Hand gereicht. Deine Hand in die meine genommen, Deine Hand, die ich bei der Landung hielt und auch noch in dem Moment, als das Flugzeug zum Stehen kam, die ich niemals hätte loslassen dürfen.
Warum bist Du nicht selbst aus der Transportkiste gesprungen? Warum hast Du zugelassen, dass er Dich auf diese Weise verfrachtete?
Es wird mir nicht gelingen, ich kann den Bus nicht mehr stoppen und wie ein Held vor den Lieferwagen springen. Ich habe die Chance vertan, nicht wissend, was für einen Einfluss das auf mein Leben haben würde. Kurz darauf setzte der Bus mich auf einem verschlafenen Sonntagmorgenplatz in Christchurch ab, und mein Einwandererdasein begann, so wie ich es geplant hatte. So wie ich es oben beschrieben habe, so wie man sein Leben auch beschreiben kann, als eine Reihe von Geschehnissen, bei denen ungesagt bleibt, was einen wirklich beschäftigt hat.
Mädchen in der Transportkiste.
Sag mir doch wenigstens, dass sich für Dich alles zum Guten gewendet hat.
Sie erinnerte sich an die gebogene Nase, das Herrscherprofil. Sie erinnerte sich, dass er eine angenehme, tiefe Stimme hatte. Aber vor allem erinnerte sie sich an seine Augen, wie er sie angesehen hatte und wie sie unter diesem Blick Gestalt angenommen hatte.
Seine Worte hatten die gleiche Wirkung. Keine Sekunde hatte sie mehr über die Fahrt in der Transportkiste nachgedacht. Was geblieben war, war einzig eine verschwommene Erinnerung an eine miserable Zeit voller Heimweh und Enttäuschung, an die sie lieber nicht dachte, doch jetzt auf einmal erhob sich ihr Bildnis aus seinen Worten, und sie fühlte sich wie die tragische Heldin eines Films.
Jetzt grüßte sie täglich beim Vorbeifahren den Platz am Fluss, an dem sie den ersten Brief gelesen hatte. An demselben Platz las sie seinen nächsten Brief und alle folgenden Briefe, in denen der Ton langsam freimütiger wurde, und einzelne Worte ihr gelegentlich nachts den Schlaf raubten. In ihrem Kopf sprach sie zu ihm, unaufhörlich, mit einer inneren Stimme voller Feuer und Sinnlichkeit. Sie beschrieb ihm alles, was sie sah und dachte, ordnete alle ihre Gedanken und wählte ihre Worte mit großer Genauigkeit.
In Wirklichkeit war sie nie eine gute Rednerin gewesen, und das war auch in Neuseeland nicht besser geworden. Kein Wort Englisch hatte sie gesprochen, als sie ankam, und weil Derk ihr ans Herz legte, niemals ein Wort Holländisch in Hörweite eines Kiwis zu sprechen – »das können sie nicht leiden« –, traute sie sich die ersten Monate kaum aus dem Bunker heraus. Wenn sie es notgedrungen doch wagte, machte sie den Mund nicht auf. Eine herrschsüchtige Friesin aus ihrer Kongregation brachte ihr einzelne Worte bei. Die Frau hatte sich eine Zeit lang ihrer angenommen, bis sie beide Kinder bekamen und zu Adas Erleichterung zu viel zu tun hatten, um sich gegenseitig zu besuchen. Aber seitdem war sie nicht viel weitergekommen. Ab und zu schnappte sie ein neues Wort auf, ein einziges Mal merkte sie später, dass sie anscheinend die Bedeutung falsch verstanden hatte. Sie war sich bewusst, dass sie ein furchtbares, gebrochenes Englisch sprach, ohne die geringste Kenntnis von Grammatik, und dafür schämte sie sich. Den Kiwi-Akzent verstand sie schlecht und war beim Einkaufen und in der Schule der Kinder verunsichert. »Six eggs, please«, flüsterte sie dem Mann hinter der Ladentheke zu, der erst mit Zigarettenpapier ankam
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