Brautflug
Wut umschlagen, und dann würden die Drohungen folgen. Es war nur ein kleiner Schritt für eine verzweifelte Mutter, die Unrechtmäßigkeit der Geburtsurkunde ans Licht zu bringen. Alles, was sie dafür brauchte, waren die Krankenhauspapiere aus Christchurch, die besagten, dass bei Marjorie kurz vor der Geburt ihres angeblichen Sohnes noch ein verirrter Fötus entfernt worden war. Wenn sie solcherlei Gedanken hegte, musste sie danach ihren Kopf unter den kalten Wasserhahn halten, um die Hitze von ihren Wangen zu spülen. Ihre Angst hielt wie ein Krieger vor ihrer Haustür Wache und machte ihre Liebe für den Säugling nur noch größer. Du-bist-von-mir, blies sie auf seine runden Wangen. Unermüdlich sang sie holländische Lieder mit lustigen Intonationen, die ihn zum Lachen brachten. Klatsch in deine Händchen, froh, froh, froh. Sie selbst wagte nicht, wirklich froh zu sein. Ständig war die Angst da, dass jemand misstrauisch werden könnte. Mit zum Reißen gespannten Nerven saß sie mit dem Baby auf dem Schoß im warmen Wartezimmer der Plunket Society zwischen den anderen jungen Müttern und imitierte die selbstverständlichen Gespräche und Gesten. Sie klagte über Milchstau. O ja, pflichtete sie folgsam bei, um auf keinen Fall Aufmerksamkeit zu erwecken, die Säuglingspflege ist hier vieeel besser als in Holland. Wenn sie nach Hause kam, war sie vollkommen erschöpft.
Hans konnte das nicht verstehen. Er war kein Typ, der sich um das Sorgen machte, was möglicherweise passieren könnte. Er genoss das Leben mit seinem kleinen Jungen, warf ihn hoch in die Luft – das Kind quietschte vor Vergnügen, der kleine Körper gespannt bis in den großen Zeh – und fing ihn mit seinen großen Händen auf. Jeden Abend im Bett beruhigte er seine Frau. Sie hatten mit Esther eine klare Abmachung getroffen, und darauf musste sie vertrauen. Warum sollte ihr jemand ansehen, dass sie nicht die echte Mutter war? Er kannte keine Mutter, die echter war als sie. Weil in seiner Gegenwart alles so einfach schien, gelang es ihr einzuschlafen. Aber sobald sie am nächsten Morgen das Kind, das aufrecht in seinem Bettchen stand und mit den Beinen stampfte, auf den Arm nahm und sie die winzig kleinen bernsteinfarbenen Sprenkel in seinen graugrünen Augen sah, krampfte sich ihr Herz erneut zusammen.
Es gab Momente, da gelang es ihr, die Angst abzustellen. Weißt du, sagte sie dann in Gedanken zu Esther, er hat jetzt Windpocken, er spuckt und muss getröstet werden, und du bist nicht da. Es passiert so viel, er wächst so schnell. Und du bist nicht da.
Die ersten Jahre in Wellington, in einer viel zu kleinen, möblierten Mietwohnung, arbeitete Hans als Büroangestellter im Einkauf bei Woolworths. Nebenher nahm er an den Abenden so viele Aufträge wie möglich als Zimmermann an. Sie lebten nur mit dem Nötigsten und sparten, bis sie fünfhundert Pfund zusammenhatten. Marjorie hatte herausgefunden, dass sie damit eine Staatsanleihe für einen Neubau bekommen konnten. Das Land investierte nicht in ältere Häuser. Das traf sich gut, sie hatte ohnehin die Nase voll von den Boarding Houses, Souterrains, Wohnwagen und Mietwohnungen. Neue Häuser wurden außerhalb der Stadt gebaut. Da es noch immer zu wenig Wohnraum gab, war
home viewing
eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Sonntags zog sie ihre Familie hübsch an, und dann nahmen sie den Bus oder die
Cable
und stellten sich in die Reihen von Wohnungssuchenden, die in Musterhäusern herumgeführt wurden. Wenn Hans dabei war, gelang es ihr sogar, die Komplimente zu genießen, die sie für ihr niedliches Kind ernteten, aber »wie sollte es auch anders sein, bei solchen Eltern!«.
Sie wählten Khandallah Village aus, weil alles in dieser Gegend nach Wohlstand duftete. Die Siedlung war in die bewaldeten Hügel hoch über der Stadt gebaut, alles wunderschön und großzügig. Das Vierzimmer-Haus mit Garage und Ausblick über die Bucht war viel zu teuer für sie, sodass sie es nur mit einer ordentlichen Hypothek kaufen konnten. Ihr Vater machte deswegen von Holland aus in seinen Briefen ein ziemliches Aufhebens, aber sie stand tapfer ihren Mann und argumentierte: In fünfundzwanzig Jahren gehört es uns, und dann verkaufen wir es mit Gewinn und kaufen ein noch größeres Haus. Hans pflichtete ihr bei. In diesen Dingen war sie gerissener und forscher als er.
Es gab keine Kanalisation. Ein kleines Haus vor der Tür diente als WC . Jeden Abend kam »das Heinzelmännchen«, wie sie ihn vor
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