Brautflug
mich nicht verstellen, was ist nur mit mir geschehen? Sie spürte immer mehr Widerwillen und musste sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht, um nicht …
Derk faltete in der Stille einen der Briefe auseinander. Tu es nicht, dachte sie, aber er tat es sehr wohl, er fing an, lauthals vorzulesen.
In der Nacht im Flugzeug, in der Dunkelheit über Australien, kniete ich neben Dir nieder. Du lagst auf zwei Sitzen und warst wach. Ich fühlte, dass Du wach warst und Dich dafür entschieden hattest, die Augen geschlossen zu halten und auf diese Weise alles zu verfolgen, was ich Dir zuflüsterte und was meine Hand dabei tat. Wellen von unterdrückter Spannung durchzogen Deine Haut, wie die kaum wahrnehmbaren Bewegungen einer Gardine, hinter der sich ein neugieriges, naschhaftes Mädchen versteckt, während meine Hand als Kundschafter die Konturen Deines Körpers erforschte. Ich habe mich nicht getäuscht. Ich kann mich nicht getäuscht haben. Das hungrige, gierige Mädchen strampelte hinter der Gardine mit den Füßen.
Es folgte eine lange Stille, offene Missbilligung in ihren Augen und verhohlene Geilheit in ihren Hüften. Splitternackt war sie. Unruhig bewegten sich die Zehen in den Socken. Aber Derks betroffenes Gesicht tat ihr weh. Hier ging es schließlich um seine Frau. »Wie kannst du nur sagen, dass es nichts bedeutet hat?«
Das wusste sie selbst nicht. Diese ganze Situation war unerträglich.
»Warum lässt du das zu?«, schrie er und riss den Brief in Stücke. Sie behielt die Tür zum Kinderzimmer scharf im Blick und pries sich glücklich, dass ihre Briefe in Martinborough lagen und nicht gelesen werden konnten. Nicht, dass sie so offen über diese Dinge schrieb wie Frank – das würde sie nie wagen, und es passte auch nicht zu ihr als verheiratete Frau –, doch sie bremste ihn auch nicht in seiner Direktheit, im Gegenteil.
Der Pastor gab Derk ein Zeichen, dass er sich beherrschen sollte. Er nahm umständlich seine Brille ab und hielt einen Moment inne. Angespannt saß sie da. Er musste seine Stimme erheben, um den heulenden Wind draußen zu übertönen.
»Du bist auf dem falschen Weg, Tochter. Du hast deine Pflicht als Ehefrau vernachlässigt. Du sollst nie, nie, nie einen anderen begehren oder dich in Versuchung begeben. Bitte den Herrn um Vergebung und bessre dein Leben.« Er wartete. Jetzt will er, dass ich ihn ansehe und nicke. Aber sie war nicht in der Lage, ihren Kopf zu heben, und konzentrierte sich hartnäckig auf seine Socken. Sehen, wer gewinnt. Es dauerte eine Weile, doch bevor er sein Ansehen verlieren konnte, setzte er seine Brille auf, faltete die Hände – die anderen taten es ihm umgehend nach – und schloss die Augen. »Herr«, betete er laut, »mach aus dieser Frau eine bessere Ehefrau und sorg dafür, dass sie ihre Verfehlung einsieht.«
Der Wind, der inzwischen zu einem wahren Sturm herangewachsen war, unterstrich das Gebet, das kein Ende fand. Alle wurden herangezogen, Korinther, Römer, Galater, alle.
»… auf dass Du, mein Gott, mich nun, da ich hier stehe, nicht herabwürdigst, dass ich Reue verspüre im Namen aller, die gesündigt haben und die sich nicht abgewandt haben von Hurerei, Unreinheit, Unzucht …« Der Pastor hob die Stimme, als würde er von der Kanzel herunter predigen. »… lasset uns ehrbar wandeln wie am Tage, nicht in Prasserei und Trunkenheit, nicht in Unzucht und Ausschweifungen, nicht in Hader und Neid …« Sie hasste das Kinn, die schlaffe Haut, all das zusammen. »Wer wird eine ordentliche Hausfrau finden? Ihr Wert nämlich ist weit größer als der des Rubins …« Ada sah zu Derk hinüber, der intensiv mitbetete, für eine ordentliche Hausfrau. Ich sehe meine Verfehlung in der Tat ein, dachte sie, aber ich bin so tief gesunken, dass ich keine Reue mehr verspüre. Eiskalt wurde sie, und sie kannte sich selbst nicht wieder. Etwas von der Frau aus Franks Briefen hatte sich in ihr festgesetzt, sie hatte sich verändert. Dann soll es wohl so sein. Sie war zu müde, um dagegen zu kämpfen. Mir kann man nicht mehr helfen, ich habe den schmalen Pfad verlassen und mich verirrt. Sie schloss die Augen zum Gebet und lauschte dem Sturm und dem Regen. Natürlich, der Sturzregen galt ihr. Wenn der Herr die Sünder strafen will, schickt er seine Fluten, wohin er will. Gott lässt es auf den Hügel regnen. Nun gut. Ich bin erstarrt vor Kälte und dazu auch noch unglaublich böse. Auf einmal wusste Ada erstaunlich klar, dass sie ihre Phantasien nicht aufgeben
Weitere Kostenlose Bücher