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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Brust weg, »es war ein ziemlich …« Doch er wollte sie küssen und rollte sich unter der Decke umständlich auf sie. Sie wandte mit einem Ruck den Kopf von ihm ab, versuchte dann aber, die Geste abzuschwächen, das kann ich nicht tun, dass ich ihm das nun verweigere, nicht nach heute Abend. Aber der Widerstand, den sie den ganzen Abend über gefühlt hatte, wallte in ihr auf, und sie schubste ihn von sich weg.
    »Jetzt nicht«, sagte sie schroff, »ich habe meine Regel.«
    Er schoss hoch, setzte sich gerade auf.
    »Schon wieder?«
    Sie sah, wie er mit dem Impuls kämpfte, sie zu schlagen, und wartete auf den Schlag. Er hatte sie noch nie geschlagen. Er war ein gottesfürchtiger und rechtschaffener Mensch, und nun beherrschte er sich. Schließlich lagen die Kinder in dem kleinen Zimmer nebenan, nur durch eine dünne Wand von ihrem Schlafzimmer getrennt.
    »Schon wieder«, sagte er noch einmal. Er drehte sich mit dem Rücken zu ihr, rutschte auf die andere Seite des Bettes und schwieg verbissen.
    So lagen sie da.
    Die Stille war gespannt, aufgeladen von so viel Wut und Unglück. Und die Distanz zwischen ihnen war um ein Vielfaches größer, als es in diesem Moment sichtbar war. Draußen hatte der Wind etwas abgenommen. Es regnete noch.
     
    Mitten in der Nacht schreckte sie auf, mit einem kurzen Schrei und einem unmissverständlichen Gefühl von Gefahr. Sie wollte sich aufrichten, konnte sich aber nicht bewegen. Sie lag auf dem Bauch, und jemand saß auf ihrem Rücken. Alle Luft wurde aus ihr herausgepresst. Ihre Arme wurden von Knien an ihren Körper herangedrückt. Ein Schauder der Angst durchschoss sie. Bevor sie verstand, was hier vor sich ging, wurde ihr Kopf an den Haaren nach hinten gerissen. Dann hörte sie das knirschende Geräusch einer Schere, ein wildes Schneiden, zwei, drei Mal, und ihr Kopf fiel auf das Kissen zurück. Und wieder griff eine Hand sie unsanft an den Haaren, und wieder wurde ihr Kopf nach hinten gerissen, dass ihr Hals knackte und sie beinahe keine Luft mehr bekam. Sie stieß erstickte Schreie aus, die Schere pflügte sich durch ihr Haar und zog ihren ganzen Körper mit sich, was gemein an der Kopfhaut schmerzte, zwei, drei Mal. Abermals schoss ihr Kopf zurück und fiel mit einem harten Schlag auf das Kissen. Danach drückte ihr eine Hand auf den Hinterkopf, sodass ihre Schreie im Kissen erstickt wurden. Irgendwo in weiter Entfernung, die Geräusche gedämpft durch das Kissen an ihrem Ohr, hörte sie weiter die Schneidegeräusche. Die Schere riss büschelweise an ihren Haaren und schnitt weiter und weiter. Er kann mich töten, wusste sie instinktiv. Genauso wie dass sie sich so still wie möglich halten musste, aber die Enge zwang sie dazu, nach Luft zu ringen. Sie drückte mit aller Kraft ihren Kopf zur Seite, und es gelang ihr, auf diese Weise Nase und Mund frei zu bekommen. Panisch schnappte sie nach Atem. Aus dem Augenwinkel sah sie die Schere vorbeischnellen, sie kniff die Augen zu und hörte, wie die Schere auf dem Boden landete. Dann schlug er ihr gegen den Hinterkopf, ein machtloser Schlag. Schweigend ertrug sie die Schläge, die immer schwächer wurden, bis er sich wimmernd erhob und aus dem Zimmer ging. Die Tür schloss er hinter sich ab.
    Dann ging die Tür nicht mehr auf. Wie lange das alles dauerte, wusste sie nicht. Ada hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie ein Tier starrte sie in die Dunkelheit auf die Tür, wagte nicht, sich zu bewegen, und atmete kaum merklich. Er kam nicht wieder. Im Wohnzimmer saß er wahrscheinlich genau wie sie da, allein und sterbensbang. Jeder auf einer Seite der Wand. Nach einer Stunde – vielleicht auch länger, vielleicht auch kürzer –, als der erste Schreck vorbei war, fing sie an zu zittern und mit den Zähnen zu klappern. Es brannte hinter ihren Augen. Vorsichtig betastete sie ihren Kopf, die kurzen Fransen und langen Strähnen, die verschont worden waren. Dann kamen die Tränen. Eine lähmende Trauer über alles, was schiefgegangen war, durchzog sie. Die bessere Zukunft hätte längst beginnen müssen. Sie würde sich nie daran gewöhnen. Sie würde sich niemals in diesem Land zu Hause fühlen, weder in diesem Haus noch in der Kirche. Niemals. Schlotternd zog sie die Decken um sich herum und blieb so sitzen. Die übrigen Stunden der Nacht konnte sie nicht aufhören zu schluchzen, ein unendlicher Schmerz drückte in ihrer Magengegend. Es klang mehr wie ein Übergeben als wie Weinen, mit weit aufgerissenem Mund, lautlos, der Kinder

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