Brautflug
kamen andere hinzu. All die Worte leckten und kitzelten sie, er leckte ihren Körper und ihre Seele, bis alles in ihr sich spannte und seine wahre und schönste Form annahm. Das also ist Liebe, dachte Ada und verwöhnte ihn auf die gleiche Weise. Voller Freude probierte sie aus, wie sie ihn erregen konnte. Sie folgte ihren eigenen, alten Phantasien und ließ sie ohne Hemmung Wirklichkeit werden. Mit ein paar Metern weißer Gaze über dem Körper drapiert, tanzte sie für ihn einen Schleiertanz. Wenn sie sich vor dem großen Spiegel in immer neue Posen warf – er musste vom Bett aus zusehen und durfte nicht in Aktion treten –, konnte sie mit ihm wie mit einer Marionette spielen. »Oh woman, don’t do this to me«, sagte er heiser. Manchmal ließen sie das alles aus, und er zog sie ohne Umschweife zu sich heran. Auch das Tierische gehörte dazu. Sie kam zu der Erkenntnis, dass es bei ihr auf dem Heuberg oft recht rau zuging und dass auch das Liebe war. Wenn keiner mehr wusste, wo oben und unten war, stolperten sie wie zwei ausgepumpte Marathonläufer direkt ins Bad. Dann saßen sie lange und still da und sahen sich an. Eine fast krankmachende Liebe übermannte sie. Ich will ihn haben. Ich will er sein. Ich will wissen, wer er ist.
In der Intimität des warmen Dampfes schöpfte sie Mut. Was ist mit deinem Vater passiert und mit deiner Schwester und deiner Mutter? Sogleich rückte er von ihr ab, setzte sich gerade auf. Was interessiert das schon, knurrte er, das spielt doch hier überhaupt keine Rolle. Doch sie ließ sich nicht entmutigen und stellte konkrete Fragen. Was ist mit dir und deiner Familie passiert?
»Mein Vater …«, begann er nach einer Weile. »Wir hatten einen Lageraufseher, der war ein Sadist. Er war nicht einmal Japaner, sondern Koreaner. An einem Tag schloss er die Latrinen. Alle hatten die Ruhr. Mein Vater ist in seinem eigenen Dreck krepiert. Nur noch Haut und Knochen. Ich wagte nicht, ihn anzufassen, aus Angst vor der Ansteckung.«
Dann schwieg er, als wäre damit alles gesagt. Seine Augen waren hart und abwehrend. Sie ließ nicht locker. Wie alt warst du damals? »Sechzehn«, sagte er, »und weil ich auch krank wurde, bin ich über die Eisenbahnlinie nach Birma entkommen.«
Er ließ Wasser über sein Gesicht laufen.
»Aber du hast überlebt«, bemerkte sie, »und deine Schwester und deine Mutter, wo waren die?«
»Im Frauenlager«, antwortete er unwillig, »aber das wussten wir damals nicht. Niemand wusste, wo sich seine Familie befand und wer überhaupt noch am Leben war. Ich habe die Geschichte später von meiner Tante gehört. Meine Mutter hat mit mir nie darüber gesprochen. Meine Schwester war ein schwaches, zerbrechliches Kind. Meine Mutter konnte sie nur durchbringen, indem sie heimlich irgendwelche Kleinigkeiten mit Dorfbewohnern über den Zaun gegen Essen tauschte. Das war streng verboten. Eines Tages wurde meine Mutter dabei von einem Aufseher geschnappt. Sie wurde öffentlich, nach allen Regeln der Kunst, verprügelt. Danach wurde sie sieben Tage lang in ihrer Unterwäsche auf dem Appellplatz zur Schau gestellt, in einem Bambuskäfig, in dem sie nicht aufrecht stehen konnte. In der brennenden Sonne, mit kahl geschorenem Kopf. Währenddessen starb meine Schwester an Meningitis.«
Ada ließ Wasser über seine Knie tröpfeln und hörte zu. Mit Hilfe der Alliierten fanden seine Mutter und er sich nach der Befreiung im Hafen von Singapur wieder. Gemeinsam reisten sie weiter auf einem Schiff nach Holland. Doch sie hatte sich verändert. Seine liebe, schöne Mutter existierte nicht mehr.
»Sie hat sich von den Menschen abgewandt«, erklärte er emotionslos. In Holland zogen sie bei ihren Eltern ein, seinen Großeltern. Dort saß sie tagelang einfach nur an diesem Sekretär hier und starrte vor sich hin, adrett angezogen, ansonsten jedoch vollkommen passiv. »Spielte sie zu der Zeit noch Klavier?«, fragte Ada. »Meine Mutter?«, fragte er erstaunt, »die hat noch nie Klavier gespielt.« Sie fuhr Motorrad, das taten viele junge Frauen in Indonesien. Nachdem sie einige Zeit in Holland waren, fing sie wieder damit an. Sie kaufte sich ein altes, schweres Motorrad und unternahm lange Ausflüge. Aber die holländischen Winter waren zu kalt dafür. Wenn sie nach Hause kam, war sie fast zu Eis gefroren. Sie erzählte nie, wo sie gewesen war. Danach saß sie wieder da und starrte vor sich hin. Alle redeten auf sie ein, dass sie mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen müsste, das ja
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