Brautflug
phantastisch, was hier mit ihr passierte, das konnte nichts mit Sünde zu tun haben – im Gegenteil –, es war eine Energie, die Wunder vollbringen konnte. Sie selbst hüllte sich in eine neue Haut, in eine Haut aus einem modernen und freimütigen Material.
Ada wollte von Frank wissen, warum er etwas gegen den Glauben hatte. »Das verstehst du falsch«, erklärte er, »ich habe nichts gegen den Glauben. Wenn Menschen darin Halt finden, dann ist das wunderbar, das muss jeder selbst wissen. Was ich nur nicht verstehe, ist dieser absolute Wahrheitsanspruch. Gott hat die Erde in sieben Tagen geschaffen, Marias Empfängnis war unbefleckt, und Jesus ist auferstanden von den Toten. Und das
muss
ich glauben, sonst bricht Krieg aus.«
Darüber dachte sie nach. Nun gut, man musste es nicht glauben, und doch waren die meisten Dinge einfach wahr. Wie würde man sonst erklären, dass dies und das …
»Was man nicht erklären kann«, sagte er, »ist nur noch unbekannt. Das wissen wir noch nicht. Vielleicht später. Wir wissen jetzt mehr als vor tausend Jahren, und in tausend Jahren werden wir wiederum mehr wissen als jetzt. Die Wissenschaft entwickelt sich ständig weiter. Damit, etwas nicht zu wissen, habe ich kein Problem, aber ich kann nicht blind eine Theorie übernehmen, die Menschen sich ausgedacht haben. Eine Theorie, die uns vorschreibt, wie wir leben müssen, und die uns verdammt, wenn uns das nicht gelingt.«
Dann nahm er das dampfende Gericht aus dem Ofen und zwinkerte fröhlich mit den Augen.
»Dann glaubst du also nicht an eine Seele?«
»Seele, Geist, Wesen, das, was uns von Tieren unterscheidet, daran glaube ich.«
»Aber wo bleibt sie dann nach dem Tod, deiner Meinung nach?«
»Ich habe keine Ahnung, was nach dem Tod passiert. Niemand weiß das. Ich nehme an, dass gar nichts passiert, sonst hätten wir wohl schon einmal ein Zeichen von oben bekommen. Tot ist tot. Aber … ich lasse mich gerne überraschen.« Ada betrachtete seine selbstsichere Haltung, die Art, wie er dastand, die Ruhe, die von jeder winzigen Bewegung ausging, und sie erkannte, dass er niemanden brauchte. Sie erschrak darüber, und es durchzuckte ihren Körper. Sie stürzte in die Tiefe, wie kurz vor dem Einschlafen. Eine Sekunde lang fragte sie sich, ob er sie auffangen würde, wenn sie wirklich fiele. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Er schnitt die Lammkeule an und nahm von all dem nichts wahr. Dann war es wieder vorbei.
Kurz darauf legte er das Fleisch in eine Schale. Das würde sie zu Hause ebenso tun – keine Töpfe mehr auf dem Tisch. Sie sagte: »Aber dann ist das Leben doch nichts wert, wenn es kein Jenseits gibt, kein himmlisches Königreich und keine Belohnung.«
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte er, »das macht das Leben noch kostbarer.«
Mit baumelnden Beinen, den königlichen Hintern auf der Spüle, erzählte Ada ihm von der Angst vor der Verdammung, sie, mit ihrem Hang zum Schlechten. Und während sie ihm das erzählte und die Reaktion auf seinem Gesicht sah, kam es ihr selbst merkwürdig unwirklich vor, weil sie hier doch gerade so bequem saß und sich so besonders liebenswert und gut fühlte. Dennoch war es wahr. Auch hier und jetzt, sie saß hier als Ehebrecherin und war verdammt, und er hatte gut reden, schließlich war es bei ihm ja anders.
Später, am selben Abend, sagte Frank: »Lass dir nichts erzählen, Ada, du weißt in deinem Innersten haargenau, was du willst. Darauf musst du hören, das ist wichtig für dich.«
Sie fragte sich, ob er damit meinte, dass sie lieber bei ihm bleiben sollte. Doch das sagte er nicht.
Er flehte sie nicht an und klammerte sich nicht verzweifelt an sie. Ein einziges Mal sagte er ganz klar, dass er gerne wollte, dass sie bei ihm bliebe. Einen Moment lang spielte sie in Gedanken diese Möglichkeit durch, doch direkt danach zogen pechschwarze Worte vor ihrem inneren Auge auf: »geschiedene Frau«, und »Mutter, die ihre Kinder verlässt«. Das war keine Lösung.
Jede Nacht machten sie es in anderer Reihenfolge, mal erst sich lieben, mal erst schlafen. Er las ihr erotische Gedichte auf Englisch vor. Ada konnte selbst nicht glauben, dass sie tatsächlich zuhörte, und schon gar nicht, dass sie diese auch noch so erregten. Doch kurz darauf spielten sie dann das Gedicht nach. Sie hielten den Atem an und sahen einander an – und es war möglich, es ging tatsächlich! Und dann musste sie zugeben, dass sie auch für diese Art von schlechten Büchern durchaus empfänglich war. Er
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