Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
Vom Netzwerk:
sah). Sie flogen in einen glühenden Ofen hinein, und noch über Pakistan wurden links und rechts Gardinen zugezogen, und die Leute schliefen ein, todmüde von der durchwachten Nacht und von all der Aufregung. Als sie aufwachten, flogen sie über den Golf von Bengalen hinweg, in einer mit Sternen übersäten, tiefschwarzen Kuppel. Es wurde eine Mahlzeit serviert, von der keiner mehr wusste, ob es Frühstück, Mittag- oder Abendessen war. In diesem wirren Zustand wandten Ada van Holland und Frank de Rooy einander die Köpfe zu und unterhielten sich leise.
    »Wer erwartet dich, wenn du ankommst?«, fragte er.
    »Derk Visser«, sagte sie rau und stellte ihm dieselbe Frage.
    »Niemand«, sagte er. Es hatte ein Mädchen gegeben, aus Utrecht, eine Medizinstudentin, blond, genau wie sie, aber die wollte nicht auswandern. Da hatte er die Beziehung beendet.
    »Hast du sie nicht genug geliebt, um dazubleiben?«
    Das Verlangen wegzugehen war stärker gewesen.
    »Ich bin kein Holländer.«
    Siebzehn Jahre war er alt gewesen, als er nach dem Krieg zurück ins Land seiner Eltern musste, und er konnte sich nicht mehr an die Kälte gewöhnen, an die Mentalität, die höfliche Distanziertheit, mit der die Menschen miteinander umgingen. Ein nasses kleines Land – während er in ruhigem Ton davon sprach, verdunkelten sich seine Augen. Der Geruch der javanischen Erde war ihm in der Nase hängengeblieben, und Heimweh war zu seinem treuen Begleiter geworden.
    »Aber ich bin auch kein Javaner.«
    Er zog ein merkwürdiges Gesicht. »Ich werde ein Kiwi.«
    Niemand hatte ihnen große Beachtung geschenkt, als sie mit dem Schiff wieder in Holland anlegten. Die Leute waren zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen Wunden zu lecken. Er schwieg und zuckte die Schultern. »So ist der Mensch.«
    Sie fragte sich, ob er wohl in einem Lager gewesen war. Sie hatte Fotos davon in der Zeitung gesehen. Der Japse steht dem Moffen in Grausamkeit nicht nach, hatte daruntergestanden. Aber so etwas fragte man nicht. »Und Gott?«, fragte sie.
    Er ergriff ihre Hand und streichelte sie gedankenverloren. Sie ließ es zu, da sie sah, dass er möglicherweise eine Antwort geben müsste, die ihr nicht gefallen würde, und er nun darüber nachgrübelte, wie er das so sanft wie möglich ausdrücken könnte.
    Er glaubte nicht an Gott.
    Das hatte sie erwartet, die Worte nun jedoch aus nächster Nähe so unverblümt aus seinem Munde zu hören war ein Schock, und sie schickte ein stilles Gebet in den Himmel. Es war ein kleines, blitzschnelles Gebet für diesen jungen Mann: Herr, vergib ihm, errette ihn.
    Er hatte nie an Gott geglaubt, war ohne Glauben aufgewachsen. Es war unwahrscheinlich, dass er jemals an Gott glauben würde.
    »Schlimm, nicht?«, sagte er fröhlich. »Kann man nur hoffen, dass er wenigstens an mich glaubt.«
    Vor lauter Angst um ihn zog sich ihr das Herz zusammen. Es war, als würde er pfeifend durch ein weites Feld laufen und nicht merken, wie ein Felsblock vom Berg herab auf ihn zurollte. Er sah ihr Gesicht und entschuldigte sich, er sollte keine blöden Witze darüber machen, wenn es für sie eine ernsthafte Angelegenheit war. »Was bist du?«
    »Reformiert.«
    Unter ihren Füßen sah sie den grauen Grabstein, länglich, fahl abgeschliffen, der zusammen mit anderen alten Grabsteinen den Boden der Kirche bedeckte. Eine Jahreszahl in römischen Ziffern und der Name des unbekannten Toten aus dem unbekannten Jahrhundert, ein Name, der in ihrem Dorf gelegentlich noch vorkam. Sie saß zwischen ihren Eltern auf einem kerzengeraden Holzstuhl mit einem pieksenden Sitz aus Binsengeflecht und fühlte die Kälte der Vorfahren durch ihre dünnen Strumpfhosen bis in ihre Seele emporklettern. Es war dunkel in der Kirche, nasser Schnee glitt an den beschlagenen Fensterscheiben herunter.
    »Und was bedeutet das für dich, dein Glaube?«, fragte er.
    Dass sie gähnend vor Hunger auf dem Sitz aus Binsengeflecht saß. Dass sie aufs Klo musste. Dass sie sich langweilte und sich todunglücklich fühlte bei der Aussicht auf diesen ganzen langen Sonntag, an dem sie nichts durfte, weder draußen spielen noch sonst irgendetwas – außer mittags noch einmal stundenlang auf den Toten zu sitzen und sich gegen ihre boshafte, feuchte Kälte zu wehren. Dass sie von der Kälte Bauchschmerzen bekam und dass sie nicht dankbar war, wie sie es sein sollte. Aber der Glaube war einfach da, und darüber hatte sie nie nachdenken müssen. Fade leierte sie abgedroschene Texte

Weitere Kostenlose Bücher