Brautflug
das. Ich kann es nur so. Meine Mutter wird mir noch …«
Sie verstummte. Ließ die Stricknadeln auf ihren Schoß sinken. Sie würde niemanden wiedersehen.
»Deine Mutter wird dir noch?«
»Eine andere Methode beibringen.«
»Ach so«, sagte Frank.
Sie sahen einander weiter an, während das Flugzeug unerbittlich und unumkehrbar durch die Nacht flog, immer weiter weg von Müttern und von anderen Strickmethoden.
»Diese eine scheint doch auszureichen«, sagte er leise.
Er strich kurz mit seiner ganzen Hand über ihr Gesicht. Wäre sie ein Welpe, so hätte sie ihre Schnauze in diese Hand drücken wollen. Nun waren sie beide verlegen. Er ergriff die lose Stricknadel und sah sie an. Ada fasste sich etwas und nahm ihre Strickarbeit wieder auf. Die Berührung brannte noch immer. Betont locker griff sie nach der Nadel in seinen Händen.
»Darf ich?«
Er hielt sie von ihr weg.
»Du hast schon eine«, sagte er. Sie machte noch einen Versuch.
»Ich will aber zwei.«
»Gieriges Mädchen.«
»Gib her.«
Keine Chance, er war schneller, und sie musste lachen. Er forderte sie mit der Stricknadel heraus, wedelte damit vor ihrem Gesicht herum, um sie dann im letzten Moment wieder wegzuziehen, er piekte sie damit in die Seite.
»Au!«
»Ich darf doch wohl auch eine haben?«
»Nein!«
»Und warum nicht?«
»Darum.«
»Du hast es so gewollt«, sagte er gelassen und zog in einem Ruck die andere Nadel aus den mühsam aufgenommenen Maschen.
Sie gab einen spitzen Schrei von sich und holte nach ihm aus, er wehrte sie ab und griff ihren Arm fest, zog sie zu sich heran, bis ihre Gesichter nah voreinanderstanden. Sie keuchte vor Lachen, gab aber nicht auf.
»Ich rufe den Flugkapitän.«
»Kann der stricken?«
»Der wirft dich aus dem Flugzeug!«
Eine unbezähmbare Lust, mit ihm zu raufen, überkam sie, diesen Gottlosen fest zu umklammern und ihm den Atem aus dem Brustkorb zu drücken, ihn in den Gang zu schubsen, über ihn herzufallen und ihn mit aller Kraft herunterzudrücken, mit den Knien auf seinen Oberarmen, gemein auf seinen Muskeln rollen, wie ihre Brüder das manchmal taten, seine Hände mit all ihrer wilden Kraft, die sie in sich hatte, auf den Boden drücken, keuchend und stöhnend, mit zitternden Muskeln, ihr Gesicht dicht über dem seinen, bitte um Gnade, los jetzt, es sollte fast wehtun.
»Was macht ihr denn da?«, fragte Marjorie.
Über dem Balkan wurde ein heftiges Tief gemeldet. Diese Nachricht hatte sie vom Schlafen abgehalten, doch das schlechte Wetter ließ so lange auf sich warten, dass sie schlussendlich die blaue Gardine zuschob und schräg zur Seite wegrutschte, den Kopf in einem Kissen aus demselben blauen Stoff. Diese waren an alle um sie herum ausgeteilt worden, außer an Esther, die dabei war, gegen die Journalisten zu gewinnen. Marjorie schnarchte, leise, aber unverkennbar.
Frank war im Cockpit gewesen. Sie waren zu schwer beladen, um über das Tiefdruckgebiet hinwegzufliegen, und obwohl dieses Flugzeug genug Kraft hatte, um schräg hindurchzufliegen, hatte der Kapitän sich dagegen entschieden. Die Passagiere könnten reisekrank werden, denn nicht jeder hatte einen so resistenten Magen. Er führte seine Schäfchen sorgsam um das Unwetter herum. Wäre Ada wach geblieben, so hätte sie in der Ferne die unheilvollen Wolken sehen können und die Blitze, die alles erhellten. Aber sie schlief. Es war warm und eng, sie wälzte sich von einer Seite auf die andere und träumte, dass sie mit einer Gruppe von Gefangenen in einem Klassenraum eingeschlossen war, in dem sie von Soldaten bewacht wurden. Einer der Soldaten hob sein Gewehr über ihren Kopf. In dem Moment, als das Gewehr ihren Schädel berührte, wachte sie auf und sah, dass ihr Nachbar sie im Dämmerlicht betrachtete.
»Geht doch, oder? Das Wetter.«
Sie nickte verschlafen. Es war unfassbar, dass er seine Augen nicht niedergeschlagen hatte. Dieser Mann tat Dinge, die sich nicht gehörten, doch er tat sie auf eine so selbstverständliche Weise, dass man selbst zweifelte und sich fragte, ob es vielleicht etwas ganz Normales war, eine unbekannte schlafende Frau im Dunkeln anzusehen. Oder ob man es sogar als Blick freundlicher Aufmerksamkeit auffassen konnte. Er hatte eine breite, hohe Stirn und volle Augenbrauen, die schräg nach unten verliefen, was seinem Aussehen etwas Trauriges hätte verleihen können, wäre da nicht der selbstsichere Blick in seinen Augen gewesen. Sie war sich bewusst, dass die Knöpfe ihrer Bluse aufgegangen
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