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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Lächeln eines Mannes, der mit beiden Beinen voll im Leben steht. Bedauern drückte ihr die Kehle zu, einfach so, ganz unerwartet. Unsinn, dachte sie, das ist jetzt wirklich lächerlich. Sie gingen ihren eigenen Weg, und für diese Art von Gefühlsregung war nun wirklich nicht der richtige Moment.
    Geschafft. Vorbei. Neu anfangen.
    Aber als der Bus aus ihrem Blickfeld verschwunden war, stand sie noch immer so da.

10
    Das Labour Department schickte sie zu Lane, Walker & Rudkin, einer großen, modernen Textilfabrik, einer Kette, die sich über das ganze Land erstreckte. »My word, look at you«, sagte der Personalchef, während er sie unverblümt von oben bis unten musterte. »I’m Ray.« Sie stellte sich selbst kühl als Miss Cahn vor. »Wir nennen uns hier beim Vornamen«, antwortete er, »von ganz oben bis ganz unten, denn wir sind demokratisch«, und er wartete vergeblich auf ihr Erröten.
    Morgens fuhr sie mit dem Rad, das Leon für sie gekauft hatte, zur Arbeit. Links halten, links halten, konzentrierte sie sich, und abends auf dem Rückweg erneut: links halten, links halten. In der Zwischenzeit saß sie in einer großen Halle hinter einer Nähmaschine, zusammen mit hundert anderen Frauen. Unter den sechshundert Arbeitskräften, die in dieser Zweigstelle arbeiteten, waren dreißig Niederländerinnen, die alle schon viel länger im Land waren. Sie saß zwischen Beb und Truus, Gerda und Ietje, und steppte Badeanzüge. Die Arbeit war weit unter ihrem Niveau, und der Lärm der Maschinen, der die Musik übertönte, war zum Wahnsinnigwerden. Das macht nichts, beruhigte sie Leon, es ist ja nicht für immer. Er nickte unsicher. Wahrscheinlich dachte er, sie spiele auf ihre Heirat an, die dem Arbeitsleben einer Frau ein Ende setzen würde, und der Gedanke daran schockierte ihn noch immer etwas. Sie sah Wolken der Verwirrung durch seine Augen jagen und sagte nichts weiter dazu. Sie meinte etwas anderes. Sie würde in diesem Land eine führende Modeschöpferin werden, mit ihrem eigenen, berühmten Salon, und die Arbeit in der Fabrik war der allererste Schritt in diese Richtung. Der Lohn war anständig, und darum ging es. In rasendem Tempo steppte und smokte sie dieser Zukunft entgegen. »Ganz ruhig«, sagte Ray und sah ihr auf die Brüste in der weit geöffneten Bluse, »ihr Dutchies arbeitet zu viel, siehst du denn nicht, dass wir das hier nicht mögen? Man beklagt sich über dich, ich sag es dir ja nur. Wir wollen hier eine entspannte Arbeitsatmosphäre.« Sie lachte spöttisch, ließ sich weiter auf die Brüste stieren, erhöhte das Tempo und ignorierte ihn. Er spürte ihre arrogante Abwehr und spazierte schulterzuckend davon. Wieder ein Vorurteil bestätigt, dachte sie amüsiert.
    In der Kantine, wo die Arbeiterinnen zweimal am Tag zehn Minuten lang Tee trinken durften und mittags für anderthalb Shilling einen Lunch mit zwei Gängen bekamen, hielt sie sich abseits. Die Ietjes und Gerdas versuchten, sie in ihre Gruppe zu integrieren – Einwanderermädchen unter sich –, doch dazu hatte sie keine Lust. Sie mochte diese Art von Clübchen nicht. Ihre neuseeländischen Kolleginnen waren höflich, aber nicht wirklich entgegenkommend. Mit ihrem Englisch, auf das sie so stolz war, gelangte sie immer wieder an ihre Grenzen. Der neuseeländische Akzent war schwer zu verstehen, ihre Ohren waren oftmals zu müde und die Laute ungewohnt für die Zunge. Ihr entgingen Nuancen. Witze wurden immer wieder missverstanden und führten zu Unmut und Ärger. Was das betraf, war sie lernbegierig – mit ihren eigenen Kunden könnte sie sich keine Missverständnisse leisten. »Was meint ihr mit
a cuppa
?«, fragte sie. Ob sie mitkommen wolle, etwas trinken. Nein, aber trotzdem vielen Dank, und eifrig schrieb sie solche Ausdrücke in ihr Schreibheft. Sie wollte keine Zeit vergeuden. Im November, wenn das Schiff mit ihrer Kiste ankam, hatte sie ihre Nähmaschine wieder. Alles, was ich dann noch brauche, ist ein Kunde und ein Stück Stoff. Bis dahin wollte sie Geld verdienen. Weil Überstunden gut bezahlt wurden, arbeitete sie abends weiter. Dadurch bekam sie zudem eine warme Mahlzeit gratis. Am freien Samstag – für Holländer unbekannt – verdiente sie an einem Tag vier Pfund und fünf Schilling. Fast fünfundvierzig Gulden in einem braunen Umschlag, den sie zufrieden pfeifend annahm.
     
    Als wäre sie durch eine starke Brandung hindurch auf dem Weg zum Strand, watete sie durch ihr neues Leben, so gut es ging hielt sie das Tempo,

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