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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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doch alles anders war und unumkehrbar begonnen hatte, machte sie mit einem Mal hellwach. Los geht’s. Die Stadt kam in Bewegung. Männer, allesamt gekleidet in Harristweed, Sportjacken, graue Flanellhosen und Filzhüte. Großer Gott, dachte sie, in welcher Zeit leben wir nur. Die Frauen liefen herum, als würden sie frieren oder nicht so recht wissen, wohin mit sich selbst, die Arme vor der Brust gekreuzt und mit gekrümmtem Rücken. Hier und da ein polynesisches Gesicht.
    Esther, in ihrer weiten Hose und den hohen Schuhen, sah ihre eigene Erscheinung in den Augen der Neuseeländer widerspiegeln, auf die gewohnte Art, die ihr ein Gefühl der Ruhe vermittelte. Sie fiel auf. Keine andere Frau hier, auf dem Fahrrad oder zu Fuß, trug eine Hose oder wiegte so beängstigend mit den Hüften. Frank, der mit seiner Reisetasche neben ihr herschlenderte, schien das nicht zu kümmern. Die meisten Männer fühlten sich durch ihr Auftreten verunsichert und fragten sie nach einiger Zeit, ob sie sich etwas unauffälliger verhalten könnte. Meistens endete das Techtelmechtel dann bereits, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Er gefällt mir schon, dachte sie, und sie bedauerte es, dass der Abschied nahte.
    In einem unordentlichen Laden fragten sie nach Zigaretten und nach einer
Christchurch Press
. Der Verkäufer in seinem verschlissenen Pullover antwortete mit einem starken Akzent, und nach dem dritten Mal verstanden sie ihn noch immer nicht ganz. Sind Sie vielleicht Holländer? Als sie daraufhin nickten, schlug er die Hände zusammen, das wird seiner Mutter gefallen, dass er heute echte Dutchies getroffen hat! Welche Zigarettenmarke wünschten sie noch gleich? Die meisten Marken waren ihnen unbekannt. Sie zeigte auf eine Reklamezeichnung, auf der ein arroganter, perfekt gekleideter Mann eine Zigarette rauchte, darunter der Text:
Peter Jackson, notice the people who smoke them
. Diese natürlich.
    Gute Wahl, erwiderte der Mann zögernd.
    »Guck mal«, sagte Frank. Sie saßen auf einer Bank bei der Bushaltestelle und warteten auf seinen Bus zum Bahnhof. »All die Stellen hier, stell dir nur vor, Kolumne über Kolumne, alles, was man will, Polier, Schmied, Elektriker, Zimmermann, Schweißer, Maler, Bäcker, Schlachter.« Esther schmeckte den bitteren Geschmack ihrer Zigarette und sah, wie er die Seite umblätterte. Er musste Gott weiß wohin, irgendwo hoch in den Norden, zu einer Schaffarm, aber er schien sich überhaupt keine Sorgen zu machen über die lange Reise und das Unbekannte, das auf ihn wartete. Er saß da und las in aller Ruhe seine erste Zeitung in seinem neuen Leben, während er sich gelegentlich mit einer unbewussten Geste das Haar aus der Stirn strich. Sie hatte Leon, der sie einführen konnte, er hatte niemanden. Er braucht niemanden, dachte sie, dieser Mann braucht niemanden. Keine Ahnung, warum sie davon so wehmütig wurde.
    »Guck mal«, sagte er wieder und zeigte ihr die Anzeige eines Schuhladens.
It’s Air Race at Hannah’s
, stand über den gezeichneten Schuhmodellen mit Namen wie
Jaystepper
und
Jeanette
, und mitten zwischen all den Schuhen:
Winners all!
Es war eine Menge los gewesen in dieser Stadt wegen des Luftrennens, das war nicht zu übersehen. Die Schaufenster hingen voll mit Verweisen, es hatte sogar eine
Miss Air Race
-Wahl stattgefunden, und diese Woche gab es ein Festprogramm für alle Teilnehmer. Sie jedoch, Fracht der holländischen Arche, hatten damit nichts zu tun, sie waren losgelassen und ausgesetzt.
    Eine Gruppe Schulkinder in Uniform lief plappernd an ihnen vorüber. Miniaturblazer, gestreifte Krawatten, kurze Hosen, Trägerkleidchen und Kniestrümpfe. Ohne ein Wort zu sagen, folgten sie mit den Augen der Gruppe, bis alle Kinder um die Ecke verschwunden waren.
    »So kleine Kinder«, sagte er, »und alle sprechen sie perfekt Englisch.«
    Der Bus überraschte sie, da sie schon wieder vergessen hatten, dass er von rechts ankam.
    »Wart nur ab«, sagte Esther, »das nächste Mal, wenn wir uns sehen, sprechen wir genauso gut.«
    »Besser noch.«
    Die Tür ging auf. Einen Moment lang standen sie sich verlegen gegenüber. Es schoss ihr in den Kopf, dass sie mit ihm mitfahren könnte. Warum nicht, sie war vollkommen frei hier.
    »Viel Glück mit allem«, sagte er.
    »Dir auch.«
    Er durchwühlte ihre Locken und umarmte sie herzlich. Während der Bus wegfuhr, winkten sie einander zu, und Esther legte ihre Hand auf ihr Herz. Er tat es ihr nach und lächelte mit dem breiten, freundlichen

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