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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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er unheimlich gewesen war, schrecklich unheimlich.
    Vorbei. Neu anfangen.
    Wütend schlug sie die Decke zurück, setzte die Füße auf den Teppichboden, knipste das Licht an und schwang so lange die Peitsche um sich, bis sich alle Raubtiere untertänig in die Ecke verkrochen. Verdammt nochmal. Schluss damit.
    Aber sie wagte sich nicht zurück ins Bett. Sie nahm ihre weite Hose – die mit den schrägen, tief angesetzten Taschen, unter denen das Muster perfekt weiterging – verkrumpelt, aber wohlbehalten aus ihrem Koffer und zog darunter doch wieder die hohen Schuhe an, auch wenn sich ihre Füße dagegen sträubten. Die Augenringe ließen sich nicht wegschminken. Daran konnte man nichts ändern.
    Zusammen mit Frank fiel sie ausgehungert über die Reste des Lammfleischs vom Mittagessen her. Der Speisesaal war schlecht erleuchtet, und sie waren die Einzigen. Die Besitzerin, eine Frau mit einem großen Busen, der wie eine riesige Skischanze schräg nach unten abfiel, setzte sich zu ihnen an den Tisch und horchte sie über das Luftrennen aus. Über Holland wollte sie nichts wissen. Es wird für euch bestimmt ungewohnt sein, sagte sie, in Schuhen herumzulaufen.
    Als sie endlich nach draußen gingen, war die Stadt schon wieder geschlossen. Und geschlossen bedeutete, dass man durch die Colombo Street laufen konnte, so weit man wollte, und nirgends ein Jazzclub, ein Kino oder wenigstens ein Pub zu finden war, der am Sonntagabend geöffnet war.
    Deshalb folgten sie dem Flusslauf des Avon, der sich durch die Stadt schlängelte, und redeten nicht viel, da sie einander nicht gut kannten und sie durch die paar Stunden Schlaf den letzten Rest eines Gefühls für Richtung und Rhythmus und für den normalen Gang der Dinge verloren hatten. Eine normale Konversation zu führen schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Und sich darüber wiederum Gedanken zu machen ebenso. Ab und zu zeigte einer von ihnen auf ein Gebäude, sieh nur, das ist typisch englische Neugotik, und dann nickte der andere, und zufrieden taumelten sie weiter. Sonntagabend in Christchurch. Alles schien tot, tot und nochmals tot.
    Er erkundigte sich kurz und sachlich nach ihr und Leon. Sie erzählte ihm kurz und sachlich, wie es um sie stand. Kurz und sachlich, das lag ihr. Würden sie sich verloben? Das war eigentlich so geplant. Er fragte nicht weiter, und ohne etwas zu sagen, spazierten sie weiter.
    Sie fragte ihn nach Ada. Er fuhr sich verlegen mit der Hand durch seinen dunkelblonden Schopf. So etwas war ihm noch nie passiert, sagte er und schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben. »Wahrscheinlich denke ich morgen, dass ich alles nur geträumt habe.« Aber jetzt hatte es ihn ordentlich erwischt. So ein liebes Mädchen, das sich von einer höheren Macht leiten ließ. Esther sagte, dass sie überhaupt nichts von Fatalismus hielt, jedoch jemandem, der so hübsch war, nun einmal leichter verzieh als anderen.
    Dann schwiegen sie wieder eine ganze Weile, dachten über all die Dinge nach und hatten nicht die geringste Ahnung, wo sie waren, doch solange sie dem Fluss folgten, konnten sie denselben Weg wieder zurückgehen. Schließlich lief der Fluss durch einen botanischen Garten, der dicht bewachsen war mit dunklen, tropischen Pflanzen und Bäumen. Frank steckte sich eine Zigarette an und sah sich um. »Tja«, sagte er aufs Geratewohl, während er den Rauch ausblies. Esther fuhr mit der Hand durch einen hohen Lavendelstrauch. Schweres Aroma stieg davon auf – Oma Berthi, die meterweise polnische Spitze für sie aus dem Wäscheschrank aus Nussbaum zieht, bitte schön,
Bubele
, damit sie die gefährliche Schwiegermutter spielen kann oder die bösartige Fee, die mit ihren Zaubersprüchen den kleinen Sal in einen Turmfalken verwandelt.
    Schwerfällig ließ sie sich zwischen den stämmigen Trauerweiden auf dem Rasen beim abfallenden Ufer nieder, zog ihre Schuhe und Strümpfe aus und steckte die Füße ins Wasser, was für einen kurzen Moment ein herrliches Gefühl war, dann aber schnell zu kalt wurde. In diesem Land, wo alles andersherum verlief, war der Winter gerade erst vorbei. Und doch hielt sie es aus, so lange wie möglich und sogar etwas länger, bis sie nach Atem schnappte. Er setzte sich neben sie, schlug die Arme um seine Knie und studierte sie eingehend. Sie schob ihre nassen Hosenbeine hoch, sodass er ihre langen Beine sah. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Lange Beine, zierliche Waden.
    »Schläfst du auch irgendwann mal?«
    Ihre

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