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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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können, wäre er dafür nicht zu anständig und respektvoll gewesen. Oder in eine Heirat. Bei den lateinamerikanischen Tänzen schoben sie ihre Hüften im selben Rhythmus gegeneinander, und dass er schmaler und schmächtiger war als sie, spielte keine Rolle mehr. Wenn er mich jetzt fragt, sage ich ja. Aber er tanzte schweigend und voller Hingabe, und über seine Schulter hinweg konnte sie es nicht lassen, herausfordernd in andere Augen zu schauen.
     
    Sie versuchte sich vorzustellen, dass sie verheiratet waren. Er ist zu klein für mich, dachte sie, ich werde ihn zermalmen. Der Gedanke daran hatte etwas Unwirkliches. Und doch mochten sie sich und gaben ihr Bestes, verliebt zu tun. Sie bissen einander in den Nacken und streichelten dem anderen über den Rücken. Wir gehören zusammen, sagte er, als ultimative Liebeserklärung. Was er damit meinte, gefiel ihr nicht wirklich. Meistens wollte er danach wissen, wann sie sich nun endlich bei der jüdischen Gemeinde anmelden würde.
    Es ist gut, dass du das sagst, antwortete sie dann zuckersüß, morgen.
    Tief in ihrem Herzen fand sie die Existenz einer jüdischen Gemeinde unsinnig. Den alten Unterschied zwischen jüdisch und nicht jüdisch gab es hier nicht, in diesem Land von Siedlern, wo jeder ein Fremder war. Warum sollte man es dann in Gottes Namen selbst ins Leben rufen?
    Aus dem Zimmer bei den Jottkowitzes war nichts geworden, sie schob den Besuch bei der Familie immer weiter auf. Das eine Mal hatten sie Apfelpudding für sie gemacht, das andere Mal Blintz, aber jedes Mal entschied sie, doch lieber nicht zu gehen, und eines Tages sagte Leon vorwurfsvoll, dass sie das Zimmer an eine Nichte aus Israel geben wollten, wenn sie morgen wieder nicht komme.
    »Oh, wie furchtbar schade«, rief sie, »aber gut, eine Nichte hat natürlich eher ein Recht darauf als ich, Familie geht vor. Weißt du was? Sollen sie es doch lieber der Nichte geben, ich finde schon ein anderes Zimmer.«
    Letzteres war etwas zu optimistisch gedacht.
Private Boarding
 – bei einer Familie zur Untermiete wohnen, wie Leon das tat, war nichts für sie, das gab sie zu. Es vermittelte ihr das Gefühl, unfrei zu sein. Ein Zimmer in einem Boarding House mieten war eine bessere Option. Sie suchte alle Zeitungen durch, aber sie fand nichts. Länger in dem Hotel bleiben war nicht zu verantworten, es kostete zu viel Geld. Ihr Zimmer war nicht größer als ein Kleiderschrank und genauso dunkel. Sie hasste es, kam mit den Nächten nicht zurecht und litt unter dem permanenten Gefühl, dass die Balken Stück für Stück tiefer sackten. Außerdem entwickelte sie einen immer größeren Widerwillen gegen den Geruch des fettigen Frühstücks. Und von dem Kaffee musste sie sich beinahe übergeben, was beschämend war. Tee, das blasse, bittere Gesöff, dass sie hier Tee nannten, war das Nationalgetränk, aber sie verlangte stur weiter nach Kaffee, und schlussendlich wollte die Skischanze ihn für sie machen, so schlimm war sie dann auch wieder nicht. Von da an wurde jeden Morgen ein offener Topf auf den Herd gestellt, in dem Kaffee gekocht wurde. Und um zu zeigen, dass sie der Dutchie wohlgesinnt war, fügte die Frau Senf als Geschmacksverstärker hinzu.
     
    Anfang November wurde es Frühling. An einem Sonntag zwängte Esther ihren langen Körper in einen Badeanzug, den sie sich in der Fabrik angeeignet hatte, und sprang in den herrlich kalten Ozean. Als sie durch die Brandung zurückschwamm, hörte sie am Strand eine hohe Frauenstimme ihren Namen rufen. »Esther!« Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen verspürte sie ein Gefühl der Freude – als wären sie durch die Flugreise ein kleines bisschen Familie geworden.
    Am Ende dieses Tages lief sie hinter Marjorie her über den Gartenweg eines hellblau gestrichenen Holzhauses in einer hügeligen Vorstadtgegend.
    »Man geht hintenrum«, sagte Marjorie, die immer alles wusste, »wenn du vorne durch die Haustür gehst, halten sie dich für einen Wichtigtuer.«
    Und wenn ich über das Dach gehen müsste, dachte Esther.
    Das Zimmer war groß und sonnig und hatte sogar einen Balkon, von dem aus man über die Stadt blickte. Esther bekam das Liegesofa. »Phantastisch«, sagte sie und hörte nicht auf zu wiederholen, wie froh sie über dieses Treffen war. Und Marjorie ging es genauso, sie strahlte regelrecht. »Ich tue gern etwas für andere Menschen«, sagte sie bescheiden, »und es macht sich außerdem in der Miete bemerkbar.«
    Kurz darauf zog sie Esther mit nach unten in die

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