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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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sie verschob so viel Masse, wie nur irgendwie möglich, während sie nicht vergaß, die Sonne auf ihrem Gesicht zu genießen, den warmen Wind, der ihr durch die Haare fuhr und den unermesslichen Raum, in dem sie sich endlich befand. Watend, watend, die Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, der scheinbar außerhalb des Gesichtsfeldes aller anderen, nicht jedoch außerhalb ihres eigenen lag. Links und rechts von ihr wuchsen die Stapel von Badeanzügen und dahinter die argwöhnischen Augen ihrer Kolleginnen: Was will diese Dutchie, was hat sie bloß vor, warum rackert sie sich so ab, dass sie nicht einmal mit uns was trinken gehen will, warum trägt sie so hohe Schuhe? Zwar war sie empfänglich für alles, was in ihre Richtung signalisiert wurde, aber das Einzige, zu dem sie sich hinreißen konnte, war ein freundliches Nicken. Tut mir leid, Mädels, dachte sie gleichgültig. Sie musste weitermachen.
     
    Aber sie war sich bewusst, dass sie aufpassen musste, dass sie beim Waten nicht Leon zur Seite schob. Sonntags machte sie mit ihm Ausflüge. Er arbeitete als Mechaniker in einer Werkstatt und hatte einen Ford Baujahr 38 kaufen können. Während sie versuchten, sich etwas unbehaglich normal zu unterhalten, tuckerten sie aus der Stadt und erkundeten das Weideland rund um Christchurch, fuhren bei schönem Wetter nach Sumner Beach, wo Familien bei üppigem Picknick saßen. Esther war verrückt nach dem Strand, dem prächtigen Himmel über dem Meer, dem Wind um sie herum. Es war ein brillantes Land, und jedes Mal überfiel sie ein Gefühl der kindlichen Freude und Dankbarkeit, dass sie hier ihr weiteres Leben verbringen durfte. Sie saß im Sand und aß ihre ersten Fish and Chips, während ihr die Haare vors Gesicht wehten und das fettige Essen auf der Zeitung zwischen ihren Zähnen knirschte. Vergnügt verfütterte sie den Rest an die Möwen. »Tu das nicht«, sagte Leon, »dann lassen sie dich nicht mehr in Ruhe.« Er hatte recht, aber es störte sie nicht, denn sie hatte schon wieder ein Brautpaar entdeckt, das vor der Brandung fotografiert wurde, und sie kommentierte lauthals das Kleid der Braut. »Tja, wenn du meinst, dass du’s dir leisten kannst, musst du es wohl tragen.«
    Sie amüsierte sich königlich. Und doch fühlte es sich unwirklich an, als wäre alles nur ein Spiel. Oh, natürlich, alles war neu und prächtig, aber sie durfte auch nicht zu lange in diesem Zustand verweilen.
     
    Gelegentlich führte Leon sie am Samstagabend zum Essen aus. Es gab keine Restaurants, Essen ging man in Hotels. Das Essen war nicht besonders und die Einrichtung ungemütlich, aber sie nahm alles wohlwollend auf und watete weiter. Manchmal gingen sie ins Kino, imposante Gebäude mit Namen wie
Majestic
oder
Regent
, und dann kaufte er ihr in der Pause ein Eis. In einer Milchbar trank sie ihren ersten Milchshake. Spirituosen gab es fast nirgends, die Pubs machten um sechs Uhr zu und waren von fünf bis sechs gerammelt voll mit Männern, die sich so schnell wie möglich volllaufen ließen. Frauen durften dort nicht hinein. Einmal war es ihr gelungen, sich tapfer dazwischenzuzwängen, doch sie wurde höflich, aber bestimmt aufgefordert, das Gebäude zu verlassen, und, ehrlich gesagt, war der Anblick der saufenden Kerle selbst für sie zu viel.
    Das erste Mal, als sie in ein Tanzlokal ging, überkam sie eine unerwartet heftige Sehnsucht nach dem rauen Leidseplein. In einem atmosphärelosen Lokal, auf beiden Seiten Stühle vor den Wänden, wurden die altmodischen Ballroomtänze geübt, quick-quick-slow, rosafarbene und gelbe Hütchen wippten auf den gemeißelten Frisuren der Frauen. Leon setzte sich an die Seite, und sie ließ sich neben ihm nieder. Alle Köpfe drehten sich in ihre Richtung. »Du musst dort hinüber«, sagte Leon, aber sie begriff es nicht oder wollte es nicht begreifen und blieb sitzen. Dann stoppte die Musik, die Tänzer eilten auf ihre Stühle zurück, die Frauen auf die eine Seite, die Männer auf die andere. Prustend erhob sie sich und wiegte auf die andere Seite hinüber. Beim nächsten Lied holte er sie ab, wie es sich gehörte. Majestätisch reichte sie ihm ihren Arm. »Benimm dich doch bitte normal«, sagte er. Zusammen tanzen war wunderbar. Der Twostep, der Chachacha, die Grübchen in seinen Wangen. Er konnte phantastisch führen, und sie reagierte auf die kleinste Bewegung seines Fingers, den er kurz oberhalb ihres Pos hielt. Mit leichtem Druck dieses Fingers hätte er sie ohne Probleme ins Bett tanzen

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