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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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sie übers Gras gerollt und hatten herrlich gekuschelt und hoppla, war die Liebe wieder da. »Er sieht gut aus, findest du nicht?« Weißt du, das Leben hier war auf einmal einfach toll, die Leute waren freundlich, und sie lachten dich nicht aus, wenn du etwas Falsches sagtest. Hans teilte ein Haus –
Flat
nennt man das hier – mit drei
Mates
, Neuseeländern, Arbeitskollegen. Diese Jungs hatten auch Freundinnen, und alle zusammen hatten sie köstlich viel Spaß, nein, um ehrlich zu sein, sie hatte gar keine Zeit dazu gehabt, ihre Familie zu Hause zu vermissen. Pa und Ma machten sich immer schrecklich schnell Sorgen, ein Herz aus Gold, doch noch mit achtzehn musste sie um Erlaubnis fragen, wenn sie ins Kino gehen wollte, und erst als sie einundzwanzig war, durfte sie nach Neuseeland. Daher nun ihr Motto: Es lebe die Freiheit! Niemand konnte ihr mehr irgendwelche Vorschriften machen, sie selbst war Herr über ihr eigenes Leben.
    »Und kein Heimweh. Du? Es klingt vielleicht hart, das so zu sagen, aber so ist es eben. Ich vermisse meinen süßen Hering, aber meine Familie, nee. Du?«
    Esther stellte den Rahmen mit dem Foto von der Familie, die es bereits seit zehn Jahren nicht mehr gab, auf die Kommode. Nicht zu lange hingucken. Marjorie zog sich das geblümte Zierkissen behaglich unter den Kopf. »Wer ist das?«
    »Meine Eltern, mein kleiner Bruder und ich. Da war ich elf.«
    »Ach, wie süß. Wie spät wird es bei ihnen jetzt wohl sein?«
    Die Kralle des Raubtiers zerrte wie ein Widerhaken in ihrem Herzen. »Sie schlafen, denke ich.«
    Ja, das dachte Marjorie auch.
    »Ich bekomme jetzt meine eigene Familie«, sagte sie zufrieden. »Ich will eine große Familie, wie zu Hause, schön ist das. Wir sind zu sechst. Hast du gesehen, dass sie die Kinderwagen hier draußen an die Straßenbahn anhängen? Man kann nur hoffen, dass die Babys da nicht herausfallen.«
    Esther betrachtete sie. Was für ein gesundes Mädchen. Witzige kleine Nase. Eine Haut wie ein polierter Apfel, unter der sich ebenso wenig Mysterium versteckte, nichts weiter als Kerngehäuse und Fruchtfleisch.
    »Arbeitest du?«
    »Ja, klar«, antwortete Marjorie.
    »Wo?«
    »Im Krankenhaus natürlich.«
    Natürlich.
    Dann wurde es merkwürdig still, während Esther die paar Kleider, die sie dabeihatte, auf Bügeln in den Schrank hängte, merkwürdig still. Auf dem Bett lag Marjorie und seufzte und wand sich, als würde sie auf der Folterbank liegen. »Was ist denn los?«
    Aber es war nichts, nein, nichts, nein, wirklich nichts, so schrecklich gar nichts, dass sie davon beinahe platzte. Esther sah sie interessiert an und wartete ruhig ab, bis sich die Wangen von Rot zu Purpur färbten und Marjorie sich abrupt aufrichtete und es ausprustete, da sie nun einmal keinen Platz in ihrem Inneren hatte, um etwas für sich zu behalten. »Ich bin diplomiert!«, schnauzte sie Esther an. »Ich bin Säuglingsschwester, ich kann das alles. Kinderpflege hätte ich auch gerne gemacht, aber das hier!«
    Diese Erniedrigung. Sie war mit all ihren Zertifikaten in die Wäscherei abgestellt worden und stand den ganzen gottverdammten Tag da und heizte Kessel an. Esther riss sich zusammen, um nicht zu lachen. »Und was willst du dagegen tun?« »Heiraten und dann abhauen, was dachtest du denn. Sobald Hans ein Haus für uns gefunden hat. Was denken die sich eigentlich!«
    Darum bin ich hier, dachte Esther, sie geht sowieso weg.
     
    Von dem mintgrünen Teppich aus watete sie weiter, schob sich vorwärts in den nächsten, leichteren Abschnitt, den junger Einwanderer, die sich vor nichts fürchten und einfach das Leben genießen, weil sie nun einmal jung sind und genießen wollen. Leon und sie, die sich nie ganz wohlfühlten, wenn sie allein waren, unternahmen viel mit Hans und Marjorie. Es ging etwas Beruhigendes von ihnen aus, als hätte man, indem man in ihrem Kielwasser blieb, Recht auf ein sorgloses Leben. Das kam in erster Linie durch Hans, seine Knickerbocker und seinen kühnen Blick, mit dem er den Horizont sondierte. Er war ein großer, muskulöser Kerl, stark und sonnengebräunt, mit dunkelblondem, etwas schütterem Haar, und er genoss Neuseeland auf so eine ansteckende Art, dass niemand sich dem entziehen konnte. Er lachte gern und war ein unterhaltsamer Redner. Er schlug seine Arme um Esthers und Leons Schultern und ließ sie die Lager vergessen, sein Lachen und seine Fröhlichkeit wirkten ansteckend. Die Einwanderergeschichten sprudelten nur so aus ihm heraus, Esther konnte

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