Brautflug
wir verliebt sind. Die Frage ist, ob das eine Voraussetzung ist. »Willst du mit mir ins Bett?«, fragte sie. Ihre Hände waren überall gewesen. Er keuchte als Antwort. »Jetzt?«, fragte sie weiter. Er richtete sich auf, sie überraschte ihn immer wieder. »Wenn wir verheiratet sind«, sagte er, »das willst du doch auch so?« Wahrscheinlich dachte er, dass sie Jungfrau war. Er hatte sie nie gefragt. Sie sah auf seine Lippen, er hatte sinnliche Lippen, und nickte brav, ja, wir warten, fast erleichtert, eine Erleichterung, die sie selbst nicht verstand. Sie verstand auch nicht, warum die sinnlichen Lippen so wenig in ihr auslösten. Das Küssen, das Streicheln, alles war wunderbar, doch den nächsten Schritt, wo sich die Trennung zwischen seiner Haut und der ihren aufheben würde, den fanden sie nicht. Irgendwo in der Mitte blieben sie hängen und gaben sich die größte Mühe, aber viel weiter kamen sie nicht. Doch ihr Körper war voll unkontrollierbarem Verlangen. In ihrer engen Caprihose über den Strand zu flanieren erregte sie, weil sie wusste, dass ihr Po gut darin zur Geltung kam. Dann schwang sie die Hüften so weit, dass sie beinahe hinfiel. Die Augen der Männer brannten warm auf ihren Pobacken. Die Männer selbst ignorierte sie herablassend, so wie sie in der Fabrik Ray ignorierte, während sie die brütend heißen Blicke genoss. Wenn am Sonntagmorgen Marjorie mit Hans in Saint Mary’s in der Messe war und sie das Zimmer für sich allein hatte, schlug sie das Laken zurück und betrachtete ihren nackten Körper aus allen möglichen Perspektiven im Spiegel des Kleiderschranks. Sie sah sich selbst durch die Augen eines Mannes, etwas, das sie so sehr erregte, dass sie zuerst die eigenartigsten Gegenstände zwischen ihren Beinen in sich gleiten ließ – wovon der hölzerne Bohrer aus Hans’ Werkzeugkoffer wohl der allermerkwürdigste war –, und sich danach selbst befriedigte. Danach schlief sie einige herrliche, entspannte Stunden lang, ohne Träume und ohne Angst. Die Augen des Mannes, von dem sie angesehen wurde, waren nie die von Leon. Doch es war durchaus die Rede von Heiratsplänen, und in der letzten Zeit merkte sie, dass diese in seinem Kopf festere Formen annahmen. So redete er immer öfter von dem Glasmalereifenster der Synagoge und wie schön die Sonne hindurchfiel und allerhand Zeremonien mit Licht durchflutete. Ob sie vorbeikäme, um sich das anzusehen. Wann sie vorbeikäme, es ansehen. Oder er schlug vor, dass sie sich Freitagnachmittag frei nehmen könnte und für sie beide ein Sabbatessen kochen, so wie es in Zukunft öfter sein würde.
Oh, aber natürlich könnte sie darüber nachdenken.
Doch diese Art der Versprechen verflogen schnell wieder, zum Beispiel, weil sie sich ganz auf einen neuen Entwurf konzentrieren musste – ein Abendkleid mit einer betonten Hüftpartie –, der ihr Kopfzerbrechen machte. In der Nacht, wenn sie die Hoffnung auf Schlaf aufgegeben hatte, zeichnete sie eine eigene Kollektion, Kleider, Kostüme, Abendgarderobe. Tagsüber, während sie gähnend und mit Augen, die nichts um sich herum wahrnahmen, Badeanzüge steppte, arbeitete sie in Gedanken die Muster aus. Besessen zählte sie die Tage, nicht bis zu ihrer Hochzeit, sondern bis sie ihre Nähmaschine zurückhaben würde. Um in diesem unmodischen Land auf der Höhe zu bleiben, abonnierte sie die Vogue, obwohl das ein Vermögen kostete. Doch dafür wäre sie sogar wenn nötig betteln gegangen.
Ende November kam endlich eine Nachricht, und kurz darauf traf ein Schiff mit ihren Kisten im Hafen von Lyttelton ein. Am nächsten Sonntag holten Hans und Leon die zwei Kisten mit einem kleinen Lieferwagen der Werkstatt ab und trugen sie brüderlich nach drinnen. Die von Esther war eine verschlissene Tropenkiste, auf dem Waterlooplein zum Schleuderpreis erworben, die von Marjorie groß und bleischwer und von ihrem Vater für die Ewigkeit gezimmert. Wie die Backfische standen sie da und kreischten, als die Deckel abgenommen waren und es mit dem großen nostalgischen Auspacken losgehen konnte. Marjorie hob triumphierend eine gediegene Aussteuer aus der Holzkiste. Ein komplettes Service mit einem feinen, blauen Rand. Besteck, Bettlaken, Kissenbezüge, Handtücher, alles von solider Qualität. Es war fast beschämend, als würde das ganze Eheleben vor einem ausgebreitet. Sie hat geübt, dachte Esther. Bei jedem Teil, das sie einpackte, hatte sie Vater-Mutter-Kind gespielt, hatte sie ihm im Morgenrock am
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