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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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nicht hierzubleiben, wirklich nicht.« Es war nicht der richtige Ton, aber er akzeptierte den Ausweg dankbar und glitt hinaus in die Außenwelt.
    »Lieber Pa, liebe Ma …« Es war ausgeschlossen, dass sie das, was passiert war, zu Papier bringen könnte. Sobald es auf dem Papier stand, wurde es Wirklichkeit. Sie würde ihren Eltern nie mehr schreiben können. Außer vielleicht Postkarten mit herzlichen Grüßen aus Canterbury.
    »Lieber Pa, liebe Ma, ich habe mein Kind abgestoßen und bin nun dabei, mit meinem Mann das Gleiche zu tun. Jeden Abend setze ich ihm einen dampfenden Teller mit verklebtem Zeug vor, es schmeckt ihm nicht, aber er isst es auf. Der Tag wird kommen, an dem er nicht mehr mitmacht. Wie geht es Euch? Schön, Ma, dass du schreibst, dass unsere Greet ihr Drittes erwartet und dass Rietjes Zwillinge so frech sind. Ich denke, Ihr habt wohl ohnehin genug Enkelkinder. Pa wird sicher stolz sein. Ist er ein glücklicher Opa? Weiß er wohl, dass es mich auch noch gibt? Nein? Umso besser, denn es gibt mich auch nicht mehr.«
    Atemlos kritzelte sie Linien und Kreise auf das Papier, Haken und Bogen, unleserliche, verklebte Sprache. Vollkommen unannehmbar. Irgendwo wurde über ihr Schicksal entschieden, in einer dunklen Zentrale. Eine gesichtslose Macht, die man nicht bekämpfen konnte und die daher unbesiegbar war. Um ihren Hals und ihre Fesseln herum lagen Ketten, an denen eine immer schwerer werdende Kugel hing. Verurteilt zu einem nutzlosen Leben. Doch tief in ihrem Herzen konnte sie – immer die Erste, wenn es um Ungerechtigkeit ging – sich nicht vorstellen, dass es keine Möglichkeit gab, sich von diesem Urteil zu befreien, das zweifellos der Höhepunkt allen Unrechts war.
    Sie kritzelte noch immer, als jemand an die Tür klopfte. Da sie nicht vorhatte zu öffnen, hielt sie im Schreiben inne und bewegte sich nicht. Sie hielt die Luft an und wartete auf das zweite Klopfen, dann auf das dritte. Spätestens dann würde der Eindringling einsehen, dass niemand zu Hause war und weggehen. Es erklang eine Frauenstimme, dunkel und heiser.
    »Marjorie?«
    Einen Moment lang war sie trotz allem erfreut darüber, wollte schon »Komm herein« rufen, in Gedanken an eine gemeinsame unbesorgte Zeit in einem Zimmer mit Teerosen und offenen Fenstern. Aber ihre Kiefer blieben fest aufeinandergepresst, und sie wartete einfach ab. Sie starrte auf die Tür. Wie nicht anders zu erwarten, drückte Esther uneingeladen die Tür auf und steckte ihren Kopf um die Ecke. Die Freundin sah eigenartig aus, warum, wusste Marjorie nicht sofort – bis ihr in den Sinn kam, dass sie
so normal
aussah, fast gewöhnlich, in einer weiten Jacke und flachen Schuhen, ohne Make-up, ohne Lippenstift. »Hallo«, sagten die blassen Lippen.
    Esther war im Krankenhaus gewesen. Sie wusste alles, glücklicherweise musste sie also nichts erklären. Obwohl sie nichts sagte, setzte Esther sich ihr gegenüber an den Tisch, die Jacke ließ sie an. Es war fröstelig im Souterrain.
    »Wie geht’s dir?«
    Marjorie faltete den Kritzelbrief zusammen. »Gut.«
    »Schön.« Immer diese spöttischen Augen, sodass man nie genau wusste, woran man war.
    »Willst du einen Tee?« Ich bin eine gute Gastgeberin.
    Esther zeigte auf die Koffer und die Kiste. »Geht das noch?«
    Marjorie nickte. Sie hatte sogar Kekse gebacken, ein Rezept aus ihrem Haushaltskundeheft. Es gibt andere schöne Dinge, die eine Frau tun kann. Kerzengerade ging sie zu dem Küchenschrank und bewegte sich so normal wie möglich. Sie spürte, dass sie beobachtet wurde. Sie schwiegen beide, bis der Tee und die Kekse zwischen ihnen standen. »Willst du nicht die Jacke ausziehen?« »Gleich.« Die Kekse waren gelungen, bei Sandteig kann man nicht so viel falsch machen. »Lecker.« »Danke.«
    Sie sahen einander kauend an. Esther fing an zu lachen.
    »Was ist denn los?« Nicht, dass sie es wirklich wissen wollte.
    »Sieh nur, wie wir hier jetzt sitzen«, sagte Esther, »wie alte Tanten auf Kaffeebesuch.«
    Das ist jetzt mein Leben. Marjorie lachte aus reinem Pflichtgefühl mit und nahm die Zigarette an, die Esther ihr anbot. Sie rauchten.
    »Ich habe einen eigenen Laden«, sagte Esther, während sie versuchte, Rauchkringel zu blasen, »weißt du, wie das hier läuft?« Es folgte eine sehr lange Geschichte über die alte Kleidermacherin Rose in der Cashel Street, von der Esther nicht viel mehr gelernt hatte, als alle naselang »Oh dear« zu sagen. Rose sollte hier in Christchurch angeblich einmal zu

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