Brautflug
den ganz Großen gehört haben, aber laut Esther war sie, was Technik und Stil anging, fünfundzwanzig Jahre hinterher. Das hatte Rose selbst auch eingesehen, daher rief sie ihre Kunden an, um zu erzählen, dass der Laden jetzt einen
Continental Dressmaker
habe und die Wartezeit für ein Kleidungsstück wieder von drei Monaten auf zwei Wochen reduziert worden war. Esther steigerte ihr ohnehin schon mörderisches Tempo in irrsinnige Höhen und verdiente genug, dass sie ihren Job in der Textilfabrik kündigen konnte. Was sie kreierte, traf den Geschmack der Leute. Rose machte inzwischen nahezu gar nichts mehr. Immer häufiger schlief sie über ihrer Arbeit ein und brach in den merkwürdigsten Momenten in eine Art jubelndes Gesumm aus. Wahrscheinlich zu lange allein gewesen. Anyway, eines Tages sagte Rose, dass Esther den Laden übernehmen könnte.
»Hattest du denn dafür Geld?«, fragte Marjorie. Nicht, dass sie das interessierte, die ganze Geschichte war ihr ziemlich egal. Sie drückte ihre Zigarette aus. Der Aschenbecher wurde über den Tisch geschoben.
»Die Miete ist verschwindend gering, und die Geschäftsübernahme konnte ich auf Raten zahlen. Sie hat natürlich viel zu viel verlangt, der Laden liegt in den letzten Zügen und ihre Maschinen, genau wie sie selbst, ebenfalls. Ich konnte es auf die Hälfte runterhandeln.« Eine Jüdin, wie sie im Buche steht, dachte Marjorie, immer handeln. »Daraufhin bin ich zum Labour Department gegangen, um herauszufinden, welche Qualifikationen und Papiere ich hier benötige, um einen eigenen Laden zu eröffnen. Ein freundlicher Mann – Zigarrenraucher, Oberhemd mit Schweißflecken – fragte, ob ich schon einen Namen wüsste. Eigentlich wollte ich ihn Pacific Lady nennen, aber Peggy hat mir davon abgeraten. Dann denken die Kiwis, dass es für polynesische Frauen ist, und die sind dick und mächtig, das schreckt die Kundschaft ab.«
»Wie geht es Peggy?«, fragte Marjorie.
»Weiß ich nicht. Also habe ich mir einen anderen Namen überlegt. Lady Esther. Hübsch, oder?«
»Was heißt: Weiß ich nicht?«
»Also habe ich zu dem Mann gesagt: Lady Esther, und ich sitze vollkommen angespannt da, wegen all dem Papierkram, durch den ich mich durchwühlen muss, du weißt schon, Zertifikate und Zeugnisse, die hier dann natürlich nicht gültig sind, Papiere, die aus Holland geschickt werden müssen, Formulare, auf die du monatelang warten musst, oder Bewilligungen, die nicht erteilt werden, da sagt der Mann:
Lady Esther, good name
, das macht zehn Pfund. Ich bezahle. Er schüttelt mir die Hand und wünscht mir
The very best and good luck in business
. Ich starre ihn an. Er sagt: Stimmt etwas nicht? Ich sage: Und die Bewilligungen? Er sieht mich an, ich sage: Die Stempel, die Formulare? Er sieht mich weiter an, ich sage: Der Betriebsplan in dreifacher Ausfertigung, die kaufmännischen Diplome, die ich nicht habe, die Examen, die ich noch machen muss? Er zieht an seiner Zigarre, ich schreie so etwas wie: Und das Startkapital, das obligatorische Startkapital, das ich niemals zusammenbekommen werde? Er sagt:
You just paid, you’re in business
. Das war es! Zehn Pfund! Er wollte nicht einmal mein Diplom von der Modeakademie sehen oder eine Referenz oder irgendetwas in der Art! Was für ein Land!« Das altbekannte heisere Lachen. »Also sage ich: Lassen Sie mich dann wenigstens kurz das Büro für sie staubsaugen!«
Marjorie versuchte zu lachen und hörte, wie merkwürdig das klang. Könnte man die Zeit nur drei Monate zurückdrehen und sie beide wieder rauchend, mit baumelnden Beinen, im Fenster sitzen. Sie nahmen sich beide noch einen Keks. »Jetzt hast du also einen eigenen Laden«, sagte sie, um irgendetwas zu sagen, und sie fragte sich, ob Esther jemals heiraten würde. Esther schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Keks, den sie in ihren Tee tunkte. Das würde ich nicht tun, dachte Marjorie, dafür ist Sandteig nicht fest genug, und tatsächlich bröckelte der größte Teil in die Tasse mit dem blauen Rand. In ihrem Inneren kroch das Elend wieder auf seinen gewohnten Platz zurück.
»Lady Esther«, sagte sie, »hübsch.«
Esther fischte mit einem Teelöffel den nassen Keks aus ihrem Tee.
»Ich wohne nicht mehr bei Peggy.«
»Warum nicht?«
»In dem Büro hinten im Atelier steht ein altes Sofa. Da schlafe ich jetzt.«
»Warum?«
Die schwarzen Wimpern hoben sich, ein langer, durchdringender Blick folgte, es herrschte eine unbehagliche Stille. Wenn Leute Esther fragten, was
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