Brautflug
Wohnwagen aus Holz. Dort hielt er an und schaltete den Motor aus. Eine Krähe, die bei einem halb verwesten Kadaver – einer Katze oder einem Hasen – unter einem Strauch scharrte, flog verstört kreischend auf. Dann herrschte völlige Stille.
»Das ist es.«
Dem Schwanz nach zu urteilen, war es eine Katze gewesen. Sie wusste, dass sie den Kopf heben und bezüglich des Wohnwagens eine Reaktion zeigen musste, dass sie absteigen und darauf zulaufen musste. Beide blieben sie bewegungslos sitzen, ihre Wange an seinem Rücken. Nach ein paar Minuten legte Hans seine Hand auf ihr Knie.
Ein sanfter, herbstlicher Nieselregen ging nieder, der Vorbote des Winters.
Es war kurz vor ihrem Umzug. Ihr armseliger Besitz stand in Koffern in einer Ecke des Souterrains, die Kleider lagen mit einem Laken zusammengeknotet auf der Kiste mit ihrer Aussteuer. »Lieber Pa, liebe Ma«, stand oben auf dem Brief, der die Familie zu Hause über die Situation informieren sollte. Das hatte Marjorie vor drei Stunden geschrieben, langsam, unsicher darüber, was danach folgen sollte. Mehr stand nicht da. Die ganze Zeit über saß sie am Tisch, die Ellbogen aufgestützt, den Kopf in die Hände gelegt, starrte sie auf die Buchstaben, in Gedanken war sie bei ihrem Streit von heute Morgen. Es ging um das Schrubben des Badezimmers. Gerade war Hans dabei gewesen, sich zu waschen und zu rasieren, da kam sie mit einem zu schweren Eimer an und goss das schäumende Wasser über den Granit des Badezimmerbodens, sodass er sich in eine Ecke flüchten musste, um von dort aus hilflos dabei zuzusehen, wie zwischen ihm und seiner Frau ein unüberwindbarer Wassergraben entstand. Er musste zur Arbeit, er zimmerte noch immer an dem Zaun für den steinreichen Schafzüchter. Guter Auftrag, guter Lohn, nach Feierabend trank er mit den
blokes
ein Bierchen. Ihm ging es gut, solange er nur nicht bei ihr sein musste. Als würde sie das nicht durchschauen. Sie sprachen nicht darüber. Sie sprachen über gar nichts mehr. Sie bereitete ihren Umzug vor mit einem Eifer, der an Fanatismus grenzte. »Was tust du da?«, fragte er, auf Zehenspitzen, um seine Socken wenigstens einigermaßen trocken zu halten, »du bist gerade operiert.« Sie wusste nicht, warum sie das tat, warum sie jeden Zentimeter der Zimmer, die sie verließen, blank bohnerte. Darum. Also gut.
»Ich will nicht, dass sie sagen, ich hätte es dreckig hinterlassen.«
»Warum sollten sie das sagen?« Er sah zu, wie seine Frau sich hinkniete und an dem Schrubber ihre Wut ausließ, wie sie dabei ihre Knöchel aufriss. Geh doch endlich zur Arbeit, dachte sie, und tat so, als wäre sie sich seiner Anwesenheit nicht mehr bewusst. Nicht, dass er unfreundlich gewesen wäre. Aber sie schien fest entschlossen zu sein, alles, was sie hatte, kaputt zu machen, und zwar in einem schwindelerregenden Tempo. Sie schmiss die Bürste in die Lauge und riss den Eimer mit Schwung hoch, was sich gar nicht gut anfühlte, überhaupt nicht gut. »Lass mich das machen«, sagte er. Als ob er an ihrem Gesicht eine Regung erkennen konnte. »Warum? Was soll schon kaputtgehen.« Sie hasste diese Frauen, die so etwas sagten. Sie knallte den Eimer einen Meter weiter mit solcher Wucht auf den Boden, dass sich eine Welle Lauge über sie erbrach. Es konnte also immer noch mehr kaputtgehen. Sie lachte schrill. »Das sollte ich wohl gerade noch hinkriegen!« Sie wischte sich die Lauge vom Gesicht. Vielleicht hatte er diese Bewegung falsch interpretiert und gedacht, dass sie weinen würde. Jedenfalls kniete er sich neben sie und versuchte sie zu umarmen. Er sagte mit einer Stimme voller Mitleid, dass das doch alles nicht schlimm war. Rasend vor Wut schubste sie ihn von sich. »Ich bin kein Krüppel! Ich bin kein Invalide!« Er verlor das Gleichgewicht und fiel hintenüber ins Nasse, mit seiner sauberen Hose. Dann standen sie beide schnell auf.
Trockene Kleider waren in dem Laken, sie hatte alles gewaschen, gebügelt und zusammengelegt, hatte so viel Kraft darauf verwendet, dass das Zeug es sich dreimal überlegen würde, bevor es wieder knitterte. »Ich werde … ich habe …« Sie zwängte sich an ihm vorbei zur Tür. Dieses Mal versuchte er nicht, sie aufzuhalten. Als er etwas später an der Haustür stand, guckte er so unglücklich, dass sie fast lachen musste. »Worauf wartest du? Du kommst zu spät.« »Marjorie …« Sie sah den inneren Zwiespalt in seinen Augen. Sie versuchte, einen heiteren Ton anzuschlagen. »Meinetwegen brauchst du
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