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Augen liegen entzündet in ihren Höhlen, darüber lastet die Gewitterfront eines schweren Katers. Die wird ihn nicht wieder einschlafen lassen, so viel ist klar, also kann er ebenso gut versuchen, aufzustehen. Ein stechend säuerlicher Geruch macht sich breit, dessen Ursache sein eigener, in Alkohol getränkter Körper ist. Die Lider schmirgeln über seine Augäpfel, als er sie hochfährt. Jetzt starrt er auf einen behaarten Unterarm, der nicht seiner zu sein scheint, auch die Zunge erinnert eher an einen verrottenden Hamster, so dick und nutzlos gammelt sie in seiner Mundhöhle vor sich hin.
Nichts davon sollte zu ihm gehören.
Tut es aber.
Er richtet sich auf, wirft einen Blick ins Zimmer.
Üblicherweise, nach einer Reihe zeitraubender Prozeduren, in deren Verlauf ihm der Spiegel eine Kreatur präsentiert, neben der er nicht im Bus würde sitzen wollen, bessert sich sein Zustand. So viel hat er streng genommen nicht getrunken gestern Abend. Und am Abend davor. Und dem davor. Das Problem ist nur, er war anderthalb Jahre lang clean. Ist nichts mehr gewohnt. Außerdem hat sich sein Hangover mit den Nachwirkungen der Gehirnerschütterung zu einem Generalangriff auf seine Sinne verbündet, dass ihm die simpelsten Dinge nicht einfallen.
Seit wann bewohnt er beispielsweise diese Suite?
Wäre schon darum interessant zu wissen, weil es die Antwort auf die Frage mitliefern würde, seit wann er sich allabendlich volllaufen lässt. Damit hat er sofort nach dem Einchecken angefangen.
Das weiß er noch.
Aber eine Suite?
Er kann sich nicht erinnern, eine Suite gebucht zu haben.
Und was ist das da neben ihm?
Scheiße.
Dass er so gar nicht aufwachen will, hat offenbar noch einen Grund. Die Wurst aus Laken in der anderen Betthälfte spannt sich zu straff, um einfach nur ein Haufen zerwühlter Wäsche zu sein. Etwas steckt dadrin, das er ungern zu Gesicht bekommen möchte. Es lebt und bewegt sich, schnarcht dezent und strapaziert sein Gedächtnis.
Großer Gott, denkt er.
Ich bin so was von durch den Wind, dass ich nicht mal einen halbwegs würdigen Absturz zuwege bringe.
Filmriss.
Geisterbahn im Bett.
Ich bin ein wandelndes Klischee.
Schüttelfrostartige Anwandlungen von Selbstmitleid erfassen ihn. Er versucht sich zu erinnern. Es schmerzt. Nicht seelisch, körperlich. Die Maschine in seinem Kopf wirft ein Notstromaggregat an, zeigt ihm sich selbst zwölf Stunden zuvor in der Hotelbar.
Was war da?
Auch nach mehreren Versuchen bekommt er die Chronologie nicht ganz auf die Reihe, aber wenigstens das eine oder andere in loser Folge: schwarz umrandete Augen in einem Madonnengesicht, auf Drogenopfer geschminkt. Hellblonde Brauen beflügeln die Vorstellung, weiter unten auf dieselbe Haarfarbe zu stoßen. Ihre Lippen scheinen beim Aufblasen einer Luftmatratze erstarrt zu sein, aber eine Nutte ist sie nicht, das kann er noch unterscheiden. Wie auch immer. Etwas muss er gesagt haben, das ihr gefallen hat, weil sie fortan an ihm hängt wie kalter Pfeifenrauch und so viel redet, dass er wohl überlegt, wie man die Quasselei abstellen kann.
Also küsst er sie.
Anfangs sieht sie noch jung aus, doch die Tünche aus Puder und Grundierer krümelt in ihren Krähenfüßen, und die Augenbrauen sind wahrscheinlich gebleicht. Jeder Schluck lässt sie im Ganzen einladender und im Detail abstoßender erscheinen. Scheiß drauf. Ihre Zunge erkundet sein Zäpfchen. Hagen gerät in Fahrt. Wie durch Zauberhand erneuert sich das Schälchen mit Pistazien vor ihnen, von den Wodka Martinis ganz zu schweigen, die sie in sich reinschütten. Es ist beim besten Willen nicht gesellschaftsfähig, was sie da am Tresen veranstalten, aber bitte, was ist um fünf Uhr morgens noch gesellschaftsfähig?
Alles danach kriegt er nicht mehr zusammen.
Nur eines weiß er mit zunehmender Sicherheit.
Das hier ist nicht sein Zimmer.
Es ist ihres.
Die Lady bewohnt eine Suite. Eine verdammte Riesensuite.
Er steht leise auf, schleppt sich ins Bad – der reinste Tanzsaal – und pinkelt. Muss sich dabei setzen. Sitzpinkler, denkt er. So wie Frauen ihre Männer gerne hätten. Klappt doch.
Sein Kopf wiegt mindestens drei Zentner.
»Tom?«
Und wenn er keine Antwort gibt? Einfach sitzen bleibt und versucht, noch mal aufzuwachen?
Kindisch. Er muss antworten.
»Bin hier.«
Schlurft zurück ins Schlafzimmer.
Was er vorfindet, sieht bei Weitem nicht so übel aus, wie er befürchtet hatte. Ihr pechschwarzes Haar steht ab wie bei einem Igel, die Augenbrauen sind
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