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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Familien auseinanderzureißen.«
    Und mit einem Mal dämmert ihr, wovon er redet.
    »Jeden Tag sahst du, wie Menschen aus ihren Häusern gezerrt wurden, und wir dachten immer, uns werden sie in Ruhe lassen. Auch alswir schon die Sterne tragen mussten.« Er hält inne. Seine Mundwinkel zucken. »Mein Vater hat die Apotheke schließlich verkauft. Unter Wert. Sie verboten ihm, weiter zu arbeiten und das deutsche Volk zu vergiften , und natürlich haben sie uns nicht in Ruhe gelassen. ’38 reiste mein Onkel nach Chicago. Wir hatten Verwandte an der Ostküste. Sie besorgten uns Visa. Wir wollten nur noch weg, aber dann kamen sie mitten in der Nacht. Brachen die Tür auf, schleiften uns nach draußen, einen nach dem anderen. Meiner Mutter traten sie in den Bauch.«
    Phoebe sieht zu, wie er weiter in sich zusammenfällt. Mit jedem Wort scheint ihm Lebenskraft zu entströmen.
    »Bahnhof Grunewald. Den Morgen werde ich nie vergessen. Weil er so schön war. So ein wunderbarer Sonnenaufgang. Der Zug stank nach Pisse und Erbrochenem, wir hingen unter- und übereinander wie Vieh.«
    »Wo haben sie euch hingebracht?«
    »Nach Sachsenhausen.«
    »Sachsenhausen?«
    Er sieht sie an. Sein Blick ist hart und kalt.
    »Ins KZ . Die Touristenvisa haben uns gerettet. Insofern, als die Schweine uns drei Wochen Zeit gaben, Deutschland den Rücken zu kehren. Denen von uns, die noch konnten.« Schaut auf seine zuckende Rechte. Hebt die Brauen, als frage er sich voller Erstaunen, was seine Finger da umklammern. »Also wanderten wir aus. Nach Chicago. Mein Vater, mein Bruder, meine Schwester. Ich.«
    »Und deine –«
    »War gestorben. An inneren Verletzungen.«
    »Das tut mir leid«, flüstert Phoebe.
    Katzenbach zuckt die Achseln.
    »Mein Onkel beging den Fehler, ’42 zurück nach Deutschland zu reisen. Um irgendwelche Angelegenheiten zu regeln. Wir schrieben ihm Briefe. Die deutschen Behörden klebten eine grünweiße Marke darauf: Abgereist, ohne Angabe einer Adresse. Er brauchte auch keine mehr. Da hatten sie ihn schon nach Estland deportiert.«
    Sein Blick irrt ab. Plötzlich entdeckt er seinen Eistee, trinkt in gierigen Schlucken, knallt das Glas auf die Arbeitsfläche.
    »Du weißt nicht, wie es ist, aus seinem Zuhause vertrieben zu werden. Nein, Phoebe!« Er hebt die Hand, bringt sie zum Schweigen, bevor sie etwas erwidern kann. »Auf diese Weise. Das weißt du nicht. Und jetzt tragen sie wieder Menschen nach draußen.«
    Phoebe steht auf, tritt vor ihn hin. »Das ist was anderes.«

    »Nicht«, er schlägt sich gegen die Stirn, »in meinem Kopf.«
    »Es mit damals zu vergleichen –«
    »Dieses Land hat sich nie wirklich für uns interessiert. In Jerusalem platzen sie fast vor Stolz: Yad Vashem, größte Holocaust-Gedenkstätte der Welt. Sie meinen tatsächlich, nachdem sie Eichmann den Prozess gemacht haben, könnten sie die Geschichten der Überlebenden für sich vereinnahmen. Glaubt ja ohnehin jeder Zweite im Ausland, Israel sei als Reaktion auf den Holocaust gegründet worden. Aber der Holocaust gehört nicht zu Israel, und wenn sie sich das tausendmal einreden. Solange ihre eigene Welt in Ordnung war, bevölkert von heldenhaften Zionisten, hatten sie für uns nur Verachtung übrig.«
    Phoebe versucht, die Puzzlesteine seiner Erzählung zu ordnen.
    »Du hast immer gesagt, du wärst amerikanischer Jude.«
    »Aus der Diaspora heimgekehrt, ja.« Er stößt ein schnaubendes Lachen aus. »So hab ich’s erzählt. Klang besser in diesem Land. Wie es ist, wenn nachts Männer deine Wohnung aufbrechen, dich, deine Eltern, Geschwister, Freunde zusammenschlagen, abtransportieren, foltern und ermorden, und du kannst nichts dagegen tun, wollte hier jahrelang keiner hören. Und selbst heute – wir feiern einen Holocaust-Gedenktag, aber wem gilt der? Den paar Partisanen, die sich gegen die Nazis gewehrt haben. Wir feiern den Aufstand im Warschauer Getto. Eine Woche vor dem Unabhängigkeitstag, wie passend! Immer nur geht es um Heldenhaftigkeit! Ist es denn zu viel verlangt, derer zu gedenken, die sich nicht wehren konnten?«
    »Aber das tun wir, Dror.«
    »Hat dir Sachsenhausen was gesagt?«
    »Nein, aber –«
    »Auschwitz?«
    »Doch, natürlich.« Phoebe schluckt. »Klar.«
    »So klar ist das nicht. Holocaust, Auschwitz – erst nach Eichmann entdeckten sie das alles als –«, er fuchtelt mit der Rechten in der Luft herum, wie um den passenden Begriff herauszugreifen, »– identitätsstiftendes Merkmal. Weil sie plötzlich Angst bekamen,

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