Breaking News
Uri.
Tausende.
Ein unbeschreibliches Chaos, denn mittlerweile wimmelt es auf demVorplatz von Medienteams, Israeli Television, BBC , CNN , Newsweek , France 2 und wer nicht alles. Zwischen den Korrespondenten machen sich UNO -Beobachter bereit, in die Lager zu gehen, werden von den christlichen Milizionären daran gehindert, hier und da kommt es zu Handgemengen, jenseits der Mauer kracht die Schaufel eines Bulldozers in eine Hauswand und reißt sie ein, als sei sie aus Pappe.
Ein Wagen kommt in hoher Geschwindigkeit herangesaust.
Hält mit kreischenden Bremsen vor dem Zug der Gefangenen.
Ein Mann springt heraus.
»Das ist Jaron«, ruft Chaim verwundert.
Brigadegeneral und Divisionskommandeur Amos Jaron höchstpersönlich, na, so was. Verantwortlich für diesen Sektor Beiruts und alles, was darin vonstattengeht. Amos Jaron, der die Falangisten auf Eitans und Droris Geheiß in die Lager lassen musste, ohne eingreifen zu dürfen. Hebt ein Megafon an die Lippen, und als er spricht, bebt seine Stimme vor unterdrückter Wut:
»Stop the shooting! This is an order! Stop it! Immediately! Everybody, go home! Go home now! Stop the shooting!«
Uri geht, das Gewehr in der Armbeuge, zusammen mit den anderen durch die Schneise.
Er hat Angst.
Es heißt, Jaron habe den Falangistenchef in Grund und Boden geschrien, ihm die Hölle auf Erden versprochen, wenn er seine Milizen nicht unverzüglich aus den Lagern abziehe, die PLO -Terroristen seien lange erledigt, getötet oder gefangen genommen, von seinen eigenen Leuten wisse er das, jetzt sollten sie gefälligst seinen Befehlen nachkommen und das Feld räumen, oder er kenne sich nicht mehr.
Da endlich sind sie verschwunden.
Und die Frauen, Kinder und alten Leute kehren ins Lager zurück.
Mit ihnen gehen, nunmehr ungehindert, Korrespondenten, Fotografen, Kameraleute, UNO -Beobachter, Ärzte ohne Grenzen, Mitarbeiter des Roten Kreuzes und Zahal-Soldaten, verteilen sich in den Straßen und Gassen, um sich ein Bild zu machen, der Welt zu berichten und humanitäre Hilfe zu leisten.
Humanitäre Hilfe, denkt Uri erbittert. Humanitär wäre es gewesen, die Falangisten gar nicht erst reinzulassen.
Seine Kehle verengt sich, plötzlicher Brechreiz macht ihm zu schaffen. Die Kräfte der Zersetzung arbeiten schnell, wie immer siegen am Ende die Bakterien.
Sein Blick jagt hin und her.
Das Erste, was ihm auffällt, sind die gewaltigen Anhäufungen von Schutt. Nicht zum ersten Mal sieht er solche Trümmerhaufen, auch in anderen Lagern haben Bombardements und Granatgefechte für massive Zerstörungen gesorgt. Doch das hier unterscheidet sich von allem, was er bislang erlebt hat. Eine Präsenz lauert in den Ruinen, die ihn erschaudern lässt, uralt, elementar. Legt sich wie eine Klammer um seine Brust, presst ihm den Atem ab, schnürt seine Eingeweide zu einem schmerzhaften Knoten. Sosehr ihn der Leichengeruch ekelt, erfüllt ihn diese Präsenz mit nacktem Entsetzen, der Hass, der Vernichtungswille, nachdem schon kein Widerstand mehr geleistet wurde.
Das pure Böse.
Er sieht einen Mann, der zwischen zwei teilweise zerstörten Häusern Gräber schaufelt. Wie ein Besessener stößt er den Spaten ins Erdreich, umgeben von Leichen, eine noch zusammengekauert auf dem Handkarren, mit dem er sie geborgen hat.
Uri schaut weg, sein Blick saugt sich an einem Haufen Gestein fest.
Bulldozerspuren führen dorthin.
Noch während sein Verstand sich weigert, die Informationen zusammenzufügen, hat sein Unbewusstes schon einige der gestaltlosen Brocken als das identifiziert, was sie tatsächlich sind, Hände und Füße, ganze Gliedmaßen, überzogen von Zementstaub –
Gesichter.
Erschrocken wendet er sich abermals ab.
Aber in Sabra und Schatila gibt es keine Richtung mehr, in die man blicken kann, ohne Schaden zu nehmen. Je tiefer sie in die Lager eindringen, desto mehr Leichen entdecken sie. Zu Dutzenden liegen sie in den Hinterhöfen. Männer, ganz offensichtlich nicht im Kampf getötet, sondern hingerichtet. Kinder, die Köpfe vom Rumpf getrennt, tote Säuglinge. Frauen, gefoltert und geschändet, bevor man ihnen die Kehlen durchschnitt. Verrenkte Leiber in Massengräbern, die nicht mehr rechtzeitig zugeschüttet werden konnten.
Weil die Mörder abziehen mussten.
Vielleicht hielten sie es aber auch nicht für nötig.
Chaim geht wortlos neben ihm her, totenblass.
Sagt kein einziges Wort.
Das alles ist mit nichts vergleichbar, was sie aus den Gefechten der letzten Monate kennen. Sie
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