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andererseits, was bringt es, sich darüber Gedanken zu machen.
Anderes beschäftigt sie umso mehr.
Die Heimkehr ihres Sohnes, körperlich unversehrt, dennoch ist der arme Uri nicht wiederzuerkennen. Macht nächtelang kein Auge zu, hockt beim Essen apathisch am Tisch, zeigt ohne erkennbaren Grund Anzeichen von Todesangst, quält sich zu seinem Stützpunkt, wo er irgendwie funktioniert, dafür zu Hause gar nicht mehr. Je emsiger sie versucht, der Ursache seiner Verzweiflung auf den Grund zu gehen, desto mehr kapselt er sich ein, spricht nur noch von Bildern, die ihn verfolgen.
Es muss mit dem Einsatz in Beirut zu tun haben.
Ariks unseliger Krieg.
Oh, wie Phoebe ihn inzwischen hasst!
Ihn und Anastasia, die Uri verlassen hat.
Vor drei Wochen.
»Tut mir ja leid, aber ich kann deine mies gelaunte Fresse nicht mehr sehen. Nein, Quatsch, tut mir nicht leid. Du redest kein Wort mehr mit mir, lässt dich nicht anfassen, kommst und gehst, wann es dir passt, einfach so. Ich finde gar nicht mehr statt. Ich brezel mich auf, geb die Verständnisvolle, bereit, mir deine Kriegsscheiße anzuhören, aber jeder Goldfisch quatscht mehr als du. Das ist nicht auszuhalten. Ich bin mit einem gottverdammten Psycho verheiratet!«
Während ihre Klamotten wie vielfarbige Vögel aus Schubladen und Schränken flatterten –
»Weißt du was? Du bist krank. Ich kann das nicht, Uri.«
– in Koffern und Taschen verschwanden –
»Ich halte das einfach nicht aus!«
– er das Schauspiel mit einem gewissen Interesse und zugleich wie aus großer Distanz verfolgte –
Was weißt DU denn vom Aushalten?
– und Yael weinend danebenstand, Anastasia hatte nämlich nicht vor, sie mitzunehmen. Sie sagte auch nicht: Ist dir klar, wie unser Kind sich vor dir ängstigt?, oder was sonst darauf hätte schließen lassen, dass sie außer sich noch jemand Geschädigten wahrnahm.
»– sowieso ein Fehler, wir hätten nie heiraten dürfen. Das hat nie gepasst. Schon mit dir in dieses Kaff zu ziehen.«
Schleppte ihre Koffer aus dem Schafzimmer in die Diele, und Uri fühlte Yael sein Bein umschlingen und ihr tränennasses Gesicht im Stoff seiner Hose vergraben. Hob die Hand, unfähig, sie zu berühren.
»Alles falsch. Alles Mist! Ich hätte nie schwanger werden dürfen.«
Begriff Yael, was ihre Mutter da sagte?
Uri saß eingesperrt im Panzer seines Körpers und versuchte darunter zu leiden, wie alles in die Brüche ging, doch er fühlte nichts. Die entsetzlichste aller je gemachten Erfahrungen. So gesehen fühlte er doch noch was, die einzige Empfindung, die ihm geblieben war:
Angst und Entsetzen.
Als er hörte, wie draußen der Motor angelassen wurde, saß er auf der Bettkante. Yael stand vor ihm und flehte darum, von ihm wahrgenommen zu werden, doch sein nie ruhendes Erinnerungsvermögen ließ ihn die Szene aus Sabra und Schatila in Endlosschleife sehen, die singende, wahnsinnig gewordene Frau und das, was sie im Arm hielt.
»Papa?«
Gleich zwischen Stirnknochen und Hirnrinde hatte sie sich eingenistet und ließ sich durch nichts vertreiben.
»Papa, Papa! Warum ist Mama böse?«
Er starrte sie an und stellte sich vor, ihr den Schädel einzuschlagen.
Sabra und Schatila sind seine neue Gegenwart. Sein Körper hat das Lager wieder verlassen, seine Seele ist dort geblieben. Er hat jeden Zeitsinn verloren, so irritierend, dass die Bilder nicht verblassen wollen. Was beim Blick auf den Kalender in die Vergangenheit entrückt, findet in seinem Kopf immer wieder aufs Neue statt, in diesem Moment, diesem Moment, diesem Moment, diesem Moment –
Flutet sein Ich.
Löscht ihn aus.
Unter dem Ansturm der Bilder erodiert der Uri von einst, seine Person wird zersetzt, ein anderer angsteinflößender Uri tritt zutage, geplagt von Gewaltfantasien. Wahrscheinlich ganz gut, dass Anastasia weg ist, er würde ihr womöglich was antun.
Er hat schreckliche Angst, Yael zu verletzen.
Die Angst frisst ihn auf, sodass er in manchen Momenten die singende Frau um ihren Wahnsinn beneidet, weit ist er nicht mehr davon entfernt, das ist mal klar, sofern es ihm nicht gelingt, die Bilder loszuwerden, nur –
WIE ?
Wie soll es mit seinem Leben bloß weitergehen?
Vielleicht, wenn er sich die Augen herausrisse –
Aber Unsinn, was er sieht, bedarf ja keiner Augen. Es würde nicht das Geringste ändern, also geht er runter zum Strand und schreit gegenden Wind an, schreit seine Qualen hinaus, versucht, den Angstflüsterer in seinem Kopf zu übertönen, doch auch
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