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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Angst regiert.«
    Uri denkt darüber nach.
    »Ich hatte in Sabra und Schatila nie das Gefühl, mich unmittelbar in Gefahr zu befinden.«
    »Sie setzen Gefahr gleich mit physischer Bedrohung. Natürlich waren Sie in Gefahr. Ihre Seele war in Gefahr. Was haben Sie getan, um sich zu schützen?«
    »Alles. Deckung gesucht, als Erster geschossen –«
    »Um Ihren Geist zu schützen.«
    Uri stockt. Rückblickend erscheint es ihm fast peinlich, aber dann erzählt er seinem Gegenüber doch von dem Trick mit der Notaufnahme.
    Der Psychologe hebt anerkennend die Brauen.
    »Gar nicht schlecht.«
    »Ich weiß nicht.« Uri schüttelt den Kopf. »Ich meine, was hat es gebracht? Ich sitze hier.«
    »Ebenso gut hätten Sie damit durchkommen können.«
    (Ja, wäre ich nicht in dieses Lager gegangen.)
    (Ich bin aber reingegangen.)
    Auch das bringt ihn zunehmend um den Verstand. Dass er sich geistig immer wieder an den Punkt zurückversetzt, bevor er die Gasse betrat, und sich vorstellt, er hätte es nicht getan.
    (Dann wäre ich jetzt ein glücklicher Mensch.)
    Der Psychologe schüttelt den Kopf. »Das bringt nichts.«
    »Was?«
    »Sie sind da reingegangen.«
    »Woher wissen –«
    »Weil Sie es auf der Stirn stehen hatten. Was geschehen ist, ist geschehen. Akzeptieren Sie’s, sonst landen Sie in der Hölle.«
    »Was ist die Hölle?«
    »Kreislaufgedanken. Ewiges Leiden. Wollen Sie wissen, warum Ihr Bild von der Notaufnahme gar nicht so schlecht war?«
    »Warum?«
    »Weil es Sinn ergab. Innerhalb Ihres Weltbildes. Was, glauben Sie, ist das wichtigste Merkmal eines Weltbildes?«
    »Toleranz?«

    »Eine wünschenswerte Eigenschaft. Nein, entscheidend ist, dass alles darin einen Platz und einen Namen hat. Wie in einem Setzkasten. So können Sie die Dinge beschreiben, zuordnen, gewichten und ihnen Sinn verleihen. Im Libanon haben Sie etwas Vertrautes bemüht, um das Grauen zu zähmen, die Notaufnahme nämlich. Andere denken vielleicht an ihren Partner, dem nichts geschehen darf, weshalb man diesen Krieg gewinnen muss. So ergeben die schrecklichsten Bilder noch Sinn. Das Vertraute hilft, emotional außen vor zu bleiben. Manche reden sich ein, sie spielen in einem Hollywoodfilm mit, alles nur Kunstblut, andere tun so, als säßen sie in der Geisterbahn, und dann gibt es noch den schönen Trick, sich zu sagen, das sind keine Menschen, das sind Ziele – bis etwas kommt, das die innere Abwehr durchbricht.«
    »Beirut.« Uri bringt das Wort kaum über die Lippen, so trocken sind sein Mundraum und sein Hals.
    Der Psychologe schweigt, lässt ihn nachdenken.
    »Da brach alles in mir zusammen«, flüstert Uri. »Das war völlig – das war so – so –«
    »Sinnlos?«
    »Ja.«
    »Das ist es. Das Sinnlose überfordert uns, Uri. Was Sie in Sabra und Schatila erblickten, lag außerhalb Ihrer Vorstellung von Menschlichkeit. Es war mit Ihrem Weltbild nicht in Übereinstimmung zu bringen. Das Sinnlose hat keinen Namen, darum sprechen wir vom namenlosen Grauen. Chaos. Sie können es nicht benennen, nicht einordnen, also können Sie auch nicht beschreiben, was es mit Ihnen macht. Was denken Sie, warum so viele Überlebende des Holocaust nie über ihre Erlebnisse sprachen? Weil sie nicht reden wollten?«
    »Sie konnten nicht.«
    »Jetzt wissen Sie schon mal, warum Sie es nicht können.« Der Psychologe lächelt. »Aber Sie haben etwas, was viele dieser Menschen nicht hatten. Hilfe.«
    Uri schweigt eine Weile. Dann sagte er:
    »Glauben Sie an die Existenz des Bösen?«
    »Nein. Was wir das Böse nennen, ist nur die Summe des Sinnlosen, das wir nicht in Worte fassen können.«
    »Mehr nicht?«
    »Mehr nicht.«
    »Ich bin also nicht von – Dämonen befallen? Vom Bösen? Ich werde niemandem etwas antun?«

    »Nein. Sie sind nur verwundet. Tief in Ihrer Seele. Posttraumatische Belastungsstörung. PTBS .«
    » PTBS .« Uri schüttelt den Kopf, reibt sich über die Augen. »So eine Scheiße.«
    Der Psychiater lächelt.
    »Machen Sie sich nichts draus. Sie sind in guter Gesellschaft. Der ganze Nahe Osten leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung.«
     
    Hoffnung –
    Er weiß, dass Phoebe Hoffnung schöpft, weil er zur Therapie geht, und ja, der Hauptmann versteht sein Handwerk. Etliches leuchtet Uri jetzt ein. Er lernt eine Menge über sich selbst, wartet darauf, dass der Effekt der Erkenntnis sich in Gesundung niederschlägt, stattdessen sieht er nur umso klarer, dass etwas in ihm zerstört wurde, irreparabel, für alle Zeiten.
    Der Hauptmann sagt,

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