Breaking News
Kriegsfuß stehen?«
»Sie werden mir meine Verwunderung nachsehen –«
»Darin bin ich Weltmeister.«
»Aber groß ist die Liebe bekanntlich nicht.«
»Bekanntlich. Was ist Ihnen denn über uns bekannt?«
»Na ja –«
»Außer, was in Fernsehdebatten gesagt wird, dass wir dem Frieden im Wege stehen.«
»Israel war nie mein Spezialgebiet.«
»Dann wird es Zeit für ein bisschen Nachhilfe. Vier bis fünf Prozent aller Israelis leben in Siedlungen. Ein Prozent davon gilt als fanatisch und gewaltbereit. Die anderen sind friedliebende Leute, weniger als die Hälfte ist ideologisch motiviert –«
»So wie Sie.«
»Was bringt Sie zu der Annahme, ich sei Ideologe?«
»Gibt es unideologische Rabbis?«
»Ach so.« Er lacht. »Stimmt, ich mag den Mythos. Aber genau das ist er: ein Mythos. Wenn die Regierung sagt, wir lösen Efrat auf, ziehen wir weg.«
»Widerstandslos?«
»Wir sind keine Anarchisten.«
»Aber Sie würden es nicht für richtig halten.«
»Nein.«
»Warum nicht? Selbst nach israelischer Rechtsauffassung sind die meisten Siedlungen illegal.«
David saugt den Rest Leben aus seiner Zigarette.
Schnippt den Stummel über den Zaun.
»Ich erzähl Ihnen mal was, Tom. Vergangenes Jahr rückte die Armee hier mit einem Haufen Sachverständiger an. Bauingenieure, Architekten – Wussten Sie, dass die Autorität im Westjordanland nicht von der Regierung ausgeht, sondern vom Militär?«
»Ja.«
»Die Armee regelt alles. Auch den Bau der Trennanlage. Seit Jahren werkeln sie an dem hässlichen Ding rum, letztes Jahr kamen sie in unsere Gegend. Das Problem ist, selbst bei großzügiger Auslegung der Grünen Linie können nicht alle Siedlungen eingefasst werden. Entsprechend stolz verkündeten sie, Efrat komme auf israelische Seite, dabei war uns das gar nicht so wichtig. Dann zeigten sie uns, wo der Zaun verlaufen sollte.« David zeigt runter ins Tal. »Sehen Sie die Straße dort unten?«
Hagen sieht sie. Ein schmales, unwesentlich helleres Band, das den unprogrammierten Raum durchschneidet. Auf der anderen Seite glimmen die Lichter von Wadi Nis.
»Entlang dieser Route war er geplant. Ein Desaster für unsere arabischen Nachbarn, der Zaun hätte sie von ihren Feldern abgeschnitten. Das konnten wir nicht zulassen. Wir fallen uns vielleicht nicht allmorgendlich um den Hals, aber während der Intifada haben sie uns vor Terroristen gewarnt, und wir leisten medizinische Hilfe, wenn sie welche brauchen. Wir schätzen einander. Also haben wir uns zusammengetan und gemeinsam gegen den Verlauf geklagt.«
»Mit welchem Ergebnis?«
»Der Zaun wurde umgeleitet.«
»Und Ihr Freund in Nablus? Was ist das für eine herzerwärmende Geschichte?«
»Meine Schwiegereltern waren mit Arabern befreundet, Fatima und Yousef al-Sakakini. Yousefs Bruder produzierte in Nablus Tahini, sein Sohn Mansour übernahm den Laden. Heute besitzt er mehrere Sesammühlen, na, und ich handele eben ein bisschen mit Linsen, Kichererbsen, auch Sesam – der alte Yousef knüpfte den Kontakt, Mansour und ich wurden Geschäftspartner.«
Hagen denkt einen Moment darüber nach.
»Um eine Jüdin in Nablus zu verstecken, muss man mehr sein als nur ein Geschäftspartner, oder?«
»Sagen wir, ich hab was bei ihm gut.« David lächelt. »Sie werden das öfter im Westjordanland finden, Tom. Koexistenzen, kleine Freundschaften. Wird gern übersehen. Weil alle immer nur nach der großen Formel suchen: Zwei-Staaten-Lösung, gemeinsamer Staat, begrenzte palästinensische Autonomie, mitsamt dem leidigen Für und Wider. Meiner Meinung nach würde ein palästinensischer Staat im Westjordanland mehr Probleme schaffen als lösen, aber ich kann mich irren. Nur eines weiß ich sicher: Was richtig und falsch ist, beantwortet keine Formel. Vor dem individuellen Schicksal versagt jeder große Entwurf. Und der Witz ist, es gab nie was anderes. Das Kategorische, Ideologische existiert nur in den Köpfen. Die Israelis, die Palästinenser, die Siedler, die Terroristen, die Säkularen, die Religiösen. – Übrigens das Problem mit der Israel-Kritik in Ihrem Land, Tom.«
Hagen schaut ihn an. »Was meinen Sie?«
»Ihr seht alles vor dem Hintergrund eurer Geschichte. Die ist euch lästig. Uns ist inzwischen lästig, dass sie euch lästig ist. Wir können es schon nicht mehr hören, eure ständige Selbstgeißelung: Kollektivschuld über Generationen hinaus, der ganze Quatsch, und andererseits dieser verlogene
Weitere Kostenlose Bücher