Breaking News
wurde, auf welche Seite er sich auch drehte.
Irgendwann muss er weggedämmert sein.
»Was zum Teufel machst du hier?«, knurrt er.
»Freut mich auch, dich zu sehen. Es ist gleich zwölf.«
»Zwölf?«
»Mittag. Zeit zur rituellen Nahrungsaufnahme. Wir sind eingeladen.«
»Puh.«
»Außerdem hat Mansour Informationen.« Yael macht eine vage Handbewegung in eine unbestimmte Richtung, unbestimmte Zukunft. »Über unseren Transfer.«
Zwölf. Er hat den halben Tag verschlafen. Warum ist er dann immer noch so müde, dass er ihr schnarchend vor die Füße kullern könnte?
»Die Dusche funktioniert übrigens«, sagt sie.
»Dusche?«
»Ich muss dir jetzt nicht erklären, was das ist.«
Weggetreten sitzt er auf seiner Matratze und zupft an seiner Decke. Fährt sich übers Gesicht, um die Müdigkeit wegzuwischen. Wie ein Tuch fällt sie wieder über ihn.
»Nebenhaus, oberstes Stockwerk. Klingeling.« Yael hebt einen Finger. »Hanaan ist sehr nett. Mansours Frau. Sie hat’s nicht so mit Händeschütteln, also versuch’s gar nicht erst.«
»Mhm. Okay.«
»Soll ich auf dich warten?«
»Nein.« Starrt sie an, irritiert, sie immer noch dort hocken zu sehen. »Verzieh dich. Ich will aufstehen.«
»Prima.«
»Ich hab nichts an.«
»Ich bin Elend gewohnt.«
»Raus.«
»Meine Güte.« Sie springt auf und geht zur Tür. »Ich kannte mal ’n Hassprediger, der war umgänglicher als du. Schlaf nicht ein unter der Dusche.«
Leicht gesagt.
Die Temperaturregelung ist eine hypermoderne Angelegenheit mit Touchscreen, die aussieht, als hätte sie tausend Designerpreise gewonnen. Hagen tippt blinzelnd hierhin und dorthin. Wahrscheinlich ist ereinfach zu dämlich, um noch irgendwas bedienen zu können, wo nicht Apple draufsteht. Unversehens stürzt eine Kaskade viel zu heißen Wassers auf ihn hernieder und vernebelt im Nu die Kabine. Zu lange hier drin, und er wird aufgelöst und in den Abfluss gespült werden, aber wenigstens drischt ihm der prasselnde Strahl die Müdigkeit aus den Knochen.
Als er im vierten Stock schellt, öffnet ihm eine Frau in bodenlangem, braunem Kaftan. Die Wölbung ihres Kopftuchs lässt auf rapunzelartige Haarmengen schließen.
»Ich bin Tom«, sagt er. »Danke für die Einladung.«
»Hanaan.« Sie lächelt und schaut ihm in die Augen. »Komm rein. Ich hab nur eine Kleinigkeit gemacht.«
Hagen lässt den Blick wandern.
Aufwändig drapierte Vorhänge, Gold, Brokat, wuchtige Sessel und Sofas. Die Essecke eine würdevolle Gesellschaft dunkler Holzthrone, sich selbst genug. Fenstergroß prangt ein LCD -Fernseher an der Wand, aus der Decke lugen Halogenlämpchen in Reihen, Kreisen und Quadraten. Wenn das hier den palästinensischen Mittelstand repräsentiert, unterscheidet er sich von dem in Bonn-Meckenheim nur durch die Muster der Stoffe und 20 Falten mehr pro Gardine.
»Wir essen in der Küche«, sagt Hanaan.
Die ist gemütlich und unspektakulär, die Kleinigkeit entpuppt sich als Platte von der Größe einer Lkw-Radkappe, getürmt voll mit Reis, Erbsen, Möhren und verlockend duftenden Hähnchenteilen.
»Das wird aufgegessen«, lacht Mansour. »Sonst sind wir gekränkt und müssen euch umbringen.«
Hanaan wirft ihm einen Blick zu, als sei er nicht ganz beieinander. Sagt etwas auf Arabisch, das klingt wie »Du hast schon treffsicherer gescherzt«, und Mansour zieht ein betretenes Gesicht.
»Ihr kennt meinen Hunger nicht«, sagt Hagen und haut rein.
Gott, ist er hungrig.
Und das hier ist gut ! Womit immer Hanaan würzt, es müsste unter das Gesetz für suchterzeugende Mittel fallen. Er kaut und schlingt. Plötzlich wird ihm bewusst, dass er seine letzte echte Mahlzeit im Askadinya eingenommen hat. Danach nur noch Frühstück in Aschdod und Miriam Cantors Käsebrote.
Mansour kommt zur Sache.
»Morgen Nacht.«
»Was, schon morgen«, staunt Yael.
»Wir haben Glück. Da war sowieso was geplant, unabhängig vonuns. Drei Männer, die eine Weile untertauchen müssen. Ihr bekommt den Transfer zum halben Preis, also zehn für beide. Das ist die gute Nachricht. Weniger gut ist, dass sie die Transporte danach eine Weile einstellen – wenn ihr das Boot verpasst, ist der Kanal dicht.«
»Das heißt, wir müssen morgen Nacht in Eilat sein«, sagt Hagen.
»Gegen Mittag fahr ich euch bis kurz vor die Westjordanlandgrenze im Süden. Ein Freund von David holt euch ab, schmuggelt euch über den Checkpoint und bringt euch runter zur Küste.«
»Und dort?«
»Einzelheiten erfahre ich noch.«
Hagen
Weitere Kostenlose Bücher