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da sie in Ramallah das Wirtschaftswunder ausrufen:
Jobs! Kaufkraft! Wachstum! Kredite für alle!
»Tatsächlich ist Palästinas Wirtschaft ein lahmer Hund«, sagt Hanaan. »Ohne ausländische Finanzhilfen läuft gar nichts, und fast alles fließt der Bauwirtschaft zu. Und wer profitiert davon? Unsere Banker und Politiker. Katar baut jetzt eine ganze Stadt im Westjordanland, die haben Hunderte Jobs geschaffen, großartig. Aber was, wenn die Stadt steht? Dann sitzen die Leute in ihren tollen Häusern und stellen fest, dass es sonst keine Arbeit gibt. Weil in andere Branchen nicht investiert wurde. Wer steckt denn Millionen in die Infrastruktur eines Landes, in dem so viel politische Unsicherheit herrscht? Also beginnen sie zu sparen, können die Kredite nicht zurückzahlen, Ende der palästinensischen Kaufkraft, Immobilienkrise, nach dem Motto, was Amerika kann, können wir schon lange, und Israels Handelsbeschränkungen geben uns den Rest. Und solange wir keinen Staat bekommen, wird sich daran auch nichts ändern.«
Mansour räuspert sich. »Hanaan –«
»Was, Hanaan?« Sie schaut Yael an. »Entschuldige, aber so ist es nun mal.«
»Sie hat ja recht«, sagt Mansour, als er sie in seinem Wagen durch die Stadt fährt. »Mag sein, wir brauchen ein Wunder. Aber ganz sicher bekommen wir keines, wenn wir drauf warten.«
Da sie bis morgen Mittag seine Gäste sind, fühlt er sich verpflichtet, sie zu unterhalten, und sie können nicht ständig über Flucht und Todesangst reden. Also fährt er sie hoch zum Universitätsgelände, und sie laufen eine Runde über den Campus.
»Schön«, sagt Yael.
Womit sie untertreibt. Die An-Najah-Nationaluniversität ist schlichtweg beeindruckend. Eine Ansammlung heller Kuben mit großzügigen Freiflächen und Open-Air-Theater, dessen Rundbühne das Tal überblickt. Mansours Schwager lehrt hier Informationstechnologie. Der Campus ist dicht bevölkert (54 Prozent Frauen, sagt Mansour mit der Genugtuung eines Mannes, der ein Vorurteil widerlegt), wenige mit offenem Haar. Die meisten tragen den Hidschab, das Kopf und Schultern bedeckende Tuch, konterkariert von ausdrucksstarkem Make-up, figurbetonten Jeans und Pumps. Eine etwas ambivalente Zurschaustellung weiblichen Selbstbewusstseins, findet Hagen, doch Mansour schüttelt den Kopf.
»Niemand zwingt die Mädchen, Kopftuch zu tragen. Sie können rumlaufen, wie sie wollen.«
»Und kriegen eins auf den Deckel, wenn keiner hinschaut«, sagt Yael.
Mansour lächelt. »Kennst du Nur Dahud?«
»Nein.«
»Die Speed Sisters?«
Yael zuckt ratlos die Schultern.
»Geh mal ins Internet. Speed Sisters aus Ramallah. Der erste Verband von Rennfahrerinnen in Palästina, kein Kopftuch, jede Menge PS . Dahud ist für mich der Star. Sie hat ihren BMW dermaßen hochgezüchtet, dass ich mich gar nicht erst trauen würde, in das Ding einzusteigen. Am Stadtrand von Ramallah kannst du sie trainieren sehen, auf einem Parkplatz direkt an der Mauer. Die israelischen Soldaten lieben sie, die applaudieren wie wild von ihrem Wachturm aus.«
»Lieben eure Konservativen sie auch?«
»Inzwischen sind sie unsere offizielle Mannschaft.« Mansour schließt den Wagen auf, verharrt. »Natürlich waren die Konservativen anfangs nicht begeistert, dass Mädchen Rennen fahren und knallenge Overalls tragen. Aber als sie Pokale gewannen, hat sich das geändert. Was erwartest du, Yael? Unsere Gesellschaft ist im Umbruch. Eure etwa nicht?«
Yael lehnt sich an den Wagen und schaut rüber zur Universität. Hagen fragt sich, was sie wirklich sieht.
»Unsere ist betoniert.«
Mansour nickt. »Soll ich dir sagen, wo die Speed Sisters Probleme bekommen? Wenn sie hier Langstreckenrennen fahren wollen. Keine Chance. Überall Checkpoints.«
Er zeigt ihnen die Altstadt. Nablus gründet auf der Flavia Neapolis , einer Römersiedlung aus der Zeit Vespasians, die auf noch älteren Monumenten entstand. Wohin man geht, Geschichte. Der Souk, der Straßenmarkt, bildet das Herz, ein lebendiger, pulsierender Organismus, durch dessen Venen und Arterien unablässig Menschen gepumpt werden, ein lautstarker, bunter Strom. Sie folgen labyrinthisch verwinkelten Gassen, gesäumt von Gerbereien, Textil- und Töpferwerkstätten, es riecht nach Seife und Gewürzen, die seit Generationen hier produziert werden. Ihr Weg führt sie zur festungsartigen Anlage des Abd-al-Hadi-Palasts, zu historischen Moscheen und Bädern, zum Uhrturm, den ein Sultan kurz vor dem Exitus des Osmanischen Reichs zu
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