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verkrochen sich im Laderaum seines Lieferwagens und passierten unbehelligt den Checkpoint. Er fuhr sie die 250 Kilometer nach Eilat, ohne Zwischenstopp bis vor die Tür der Appartementunterkunft, während Yael versuchte, mit dem Geschehenen klarzukommen.
»Benjamin. Meine eigene Familie.«
Kümmerte sich um seine lädierten Finger.
Starrte vor sich hin.
Hämmerte vor Erbitterung gegen die Wand des Laderaums, dass Hagen fürchtete, sie werde sich die Knöchel blutig schlagen.
Er nahm ihre Handgelenke.
»Hör auf, Yael! Es ist vorbei.«
Im Autoradio Musik. Keine nationale Katastrophe beschäftigte das Land. Eine Explosion östlich Jerusalems. Erst hieß es, eine Düngemittelfabrik sei in die Luft geflogen, dann, eine Rakete habe ein Gehöft in Schutt und Asche gelegt. Dementis jagten einander.
»Es ist nicht vorbei.«
»Dein Onkel hat uns gehen lassen.«
»Mein Onkel sah mir nicht danach aus, als müsse er sich noch lange um irgendwas Gedanken machen, aber die anderen –«
Stimmt, dachte er. Die werden uns weiter jagen.
Wir können sie identifizieren.
Und der Schin Bet kann uns die Füße küssen, aber eher steht zu erwarten, dass sie Yael in die Mangel nehmen. Vertuschung einer Straftat. Sie hat Yossi gedeckt, und wenn hundertmal ihre Familie bedroht war. Dagegen steht ihre Mithilfe bei der Vereitelung des Tempelberganschlags, aber wie werden sich die Gewichte in den Waagschalen verteilen?
Was werden sie mir abverlangen?
Nichts hat sich geändert.
Wir müssen raus aus Israel.
Ihre Unterkunft entpuppt sich als Häuschen im französischen Landhausstil, so authentisch französisch, wie die Pyramide von Las Vegas ägyptisch ist. Amdar Village, Segen der Anonymität. Vom Ziergitterbalkon im ersten Stock kann man den Golf sehen, gefleckt mit Seglern und Motorbooten, dahinter Akaba am Fuß zerklüfteter, in Gold gebadeter Berge.
Sechs Kilometer.
Hagen streckt die Hand aus, kneift ein Auge zusammen und legt den Finger auf den höchsten Gipfel.
Ruft Mansour an: Alles gut, nächstes Lebenszeichen aus Jordanien.
Yael tippt SMS .
Beruhigt David und Miriam.
Es dunkelt.
Sie legen sich nebeneinander aufs Bett, schalten den Fernseher ein. Reporter vor einem Krater. Dramatische Verluste unter den ortsansässigen Hamstern und Erdhörnchen, Menschen sind offenbar nicht zu Schaden gekommen. Ein aus dem Ruder gelaufenes Manöver der Luftstreitkräfte? Spekulationen.
»Dir ist schon klar, dass du die Welt gerettet hast?«
Er lacht bitter. »Mit einer Lüge.«
»Ohne dich würde sie brennen.«
»Ich bin aber nicht angetreten , um die Welt zu retten.«
»Du bist auch nicht angetreten, um sie zu zerstören.«
Er betrachtet seine geschundenen Finger.
»Ich hab Leben zerstört.«
»Du konntest nicht wissen, was du auslöst. Dein Freund, die Mädchen, ich selbst – ich meine, du hast nicht wissentlich jemanden in Gefahr gebracht.«
»Nicht diesmal .«
Sie betrachtet ihn. Versucht zu verstehen, was er meint, aber wie kann sie das, ohne den Anfang der Geschichte zu kennen? Den verfluchten, unter einer afghanischen Bergflanke verschütteten Anfang.
Hagen starrt in den Fernseher.
Schaltet ihn aus und starrt weiter hinein. In der leeren, dunklen Fläche spiegelt sich die Vergangenheit.
»Du kennst mich nicht«, sagt er leise.
»Dann hilf mir, dich kennenzulernen.«
Er sucht nach einer schroffen Erwiderung, belagert von ihren Blicken. Öffnet den Mund, um ihr zu sagen, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern –
Stattdessen erzählt er ihr alles.
Sie haben ja Zeit.
Drei lange Jahre, plus eine Nacht in Taloqan. Die Nacht, in der Inga, Max, Walid und Marianne sterben mussten, seinetwegen.
Erzählt, kämpft mit den Tränen.
Von dem Desaster, den Jahren danach, Rückschlägen und Abstürzen, von der alles erdrückenden Schuld.
Vom Verlust seiner Würde, auf der A1 nach Jerusalem.
Yael sagt kein Wort.
Greift in sein Haar und küsst ihn.
Hagen ist überrascht, vornehmlich von dem, was ihr Kuss ihm sagt: Ich erkenne mich in dir. Deine Tragödie schweißt uns zusammen. Dein Schmerz ist der Schlüssel zu meiner Seele, dein Vergehen die Eintrittskarte in mein Leben. Wir sind nicht länger nur eine Zweckgemeinschaft, wir sind geeint in Schuld, und jetzt tilgen wir unsere Schuld, indem wir unsere Ungeheuer aufeinander loslassen, damit sie sich in einem fulminanten Showdown gegenseitig vernichten.
Er ist perplex.
Regelrecht überfordert. Erwidert ihren Kuss, ohne einen Moment lang zu wissen, was er
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