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haben.
Arme, unglückliche Phoebe.
In Selbstvorwürfen vergraben, kaum ansprechbar. Zerbrochen an der Unumkehrbarkeit der Zeit. Ihr letztes Gespräch mit Jehuda war ein hässlicher Streit, erst hat sie ihn angeschrien, dann wie einen Schurken stehen lassen.
Na ja, sie war stocksauer.
Etwa eine Viertelstunde lang.
Dann beschlichen sie Zweifel, auch wenn sie immer noch fand, Jehuda hätte nicht mit Arik reden dürfen, andererseits hatte sie wohl ein bisschen selbstherrlich reagiert.
Sehr selbstherrlich, um genau zu sein.
Und plötzlich tat ihr das Ganze furchtbar leid.
Sie versuchte es auf seinem Handy, doch die Durchsage war immer dieselbe: Der von Ihnen gewählte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar.
Klar, dachte sie und wurde fast wieder ein bisschen sauer.
Hat ausgemacht, der sture Hammel.
Beleidigt.
Nur dass Jehuda nicht beleidigt war, sondern tot.
Wie soll sie je damit fertigwerden?
Yael schafft es ja kaum, und die hat ihn zum Abschied (wer konnte ahnen, dass es ein Abschied wird?) immerhin umarmt. Sie flüchtet sich in die Arbeit, ist meist vor 7:00 Uhr im Krankenhaus, nutzt die Viertelstunde allein im Arztzimmer, das sie sich mit einem Kollegen teilt, um E-Mails zu checken und ihren inneren Motivationstrainer zu aktivieren. Übergabe der Nachtschicht, Schwesternmeeting, Visite, Blutabnahme, Zugänge legen, Ultraschall, Pow-Wow mit Oberarzt und Chefarzt, Patienten Mut zusprechen oder ihnen die Realität ins Gesicht reiben, die Sorgen Angehöriger zerstreuen, ihre Befürchtungen nähren, je nachdem – wie eine Gewehrkugel wird sie durch den Vormittag geschossen.
Was gut ist.
Das hohe Tempo hält sie vom Grübeln ab, und es gibt einiges zu grübeln. Etwa, ob Jehuda noch leben würde, wenn die Dinge anders gelaufen wären an jenem Tag, als er vor dem Sanitätszelt stand und herumdruckste.
Was wollte er?
Sich ihrer Unterstützung versichern?
Weil er wusste, wie empfindlich Phoebe auf seinen Anruf bei Arik reagieren würde?
Hätte sie ihn bloß ermutigt zu reden.
Richtig ermutigt, statt es bei einem halbherzigen Versuch zu belassen. Vielleicht wäre er gar nicht gefahren. Die obduzierenden Ärzte können über die Todesursache wenig mehr als mutmaßen, sein Körper war zu stark verbrannt, fest steht eigentlich nur, dass er die Kontrolle über den Wagen verloren hat.
Aber was genau war der Grund?
Schwächeanfall? Herzinfarkt?
Abgelenkt?
Nie wird Yael wissen, ob sie Einfluss hätte nehmen können.
Und auch der Patient, der vorgestern Abend – welch bizarre Fügung – ins Hadassah eingeliefert wurde, dürfte wenig Aufschlussreiches beizutragen haben, sieht man davon ab, dass er die Ursache für Jehudas Fahrt war.
Und damit indirekt für seinen Tod.
Arik – mal wieder.
Yael versucht, seine Anwesenheit zu ignorieren. Yossi, ihr Kollege, erweist sich als Fan geregelter Mittagsmahlzeiten, wann immer es die Lage an der Patientenfront erlaubt, steht er mit Begeisterung, einem Tablett und umweht von Essensdünsten in der Schlange. Yael kommt das zupass, auf diese Weise hat sie das Büro eine weitere halbe Stunde für sich und muss sich nicht sein schwärmerisches Gefasel über den prominenten Neuzugang reinziehen. Ohnehin geht sie lieber abends essen. Mit Liz, Itzik und Schlomi, mit neuen Freunden. Die Gesellschaft lenkt sie ab. Sie sitzen zusammen und reden, nichts Wildes, keine Exzesse, oder sagen wir, selten. Mitunter muss sie schon Dampf ablassen, Kneipentour, Haoman 17 (neuerdings durch eine achtbare Dependance in Tel Aviv vertreten), Sex ohne lange Ansage. Die flutartige Freisetzung von Oxytocin und Prolaktin hat sich mithin noch als der beste Weg erwiesen, depressiven Schüben entgegenzuwirken, man kann sich ja nicht ständig einen halben Liter Roten auf die Lampe gießen oder MDMA einfahren, wenn der Blues kommt.
Nie würde sie es sich gestatten, verkatert zur Visite zu erscheinen.
Und der Blues kommt oft.
So wie heute, da sie weiß, dass Ariel Scharon gleich über ihr in einem abgeschirmten Trakt der Neurologie liegt. Am liebsten würde sie hochgehen und ihm sämtliche Kanülen rausziehen, unsinnige Idee natürlich, also bezwingt sie ihren Frust, indem sie einmal mehr die Mittagspause im Arztzimmer verbringt.
So vertieft ist sie in ihren Papierkram, dass ihr das leise Klopfen entgeht. Zögerlich wird die Tür geöffnet.
»Entschuldigung – Yael Kahn?«
Schaut auf. Ein Mann in Arztmontur steht etwas linkisch auf der Schwelle, einen Stapel Patientenakten unterm Arm.
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