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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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zusammen mit ihrer neunzigjährigen Mutter neben den Kahns wohnt, bei Tee und Gebäck zu Rachel, sei es nur dem hohen Grad an hiesiger Zivilisiertheit zu verdanken, dass man die hergelaufenen Schaschlikfresser nicht schnurstracks zum Teufel jage. Und Rachel quittiert ihre Empörung in gleicher Weise, wie sie es seit dem 15. Januar 1928, als sie hochschwanger palästinensischen Boden betrat, noch jedes Mal getan hat.
    Hergelaufene, gibt sie zu bedenken, seien hier alle.
    Unsinn, wird sie belehrt.
    Nicht?
    Nein, keineswegs, man müsse ja wohl einen Unterschied machen zwischen denen, die freien Herzens hergefunden hätten, und solchen, die nach Palästina geflohen seien. Womit keinesfalls die aufrichtige Bereitschaft der Flüchtlinge zur Herausbildung einer freien zionistischen Gesellschaft infrage gestellt werden solle. Indes anzunehmen, das Siedlungswesen sei lediglich Ausdruck eines grassierenden Fluchttriebs, ziehe alles in den Dreck, wofür die Juden seit Anbeginn der Zeit gekämpft hätten.
    Rachel glaubt sich zu erinnern, die Zeit hätte schon vor den Juden ihren Anfang genommen.
    Und eigentlich seien die Scheinermanns doch ganz nett.
    Die Malerin schaut düster über den Rand ihrer Tasse.
    Die fände sie nett? Im Ernst?
    Doch, schon. Vera zum Beispiel habe sie ins Herz geschlossen. Und sei Samuel Scheinermann nicht ein bis ins Mark überzeugter Zionist, der zwar habe fliehen müssen, aber auch ganz sicher so gekommen wäre?
    »Der doch nicht!«
    Da hegt die Malerin keinerlei Zweifel. Eingebildeter Poale Zion Aktivist. Nein, der wäre hübsch in Georgien geblieben, wenn die Kommunisten ihn nicht so drangsaliert hätten. Und die Shneorov? Also, da solle Rachel sich mal keinen Illusionen hingeben, als ob deren Anwesenheit auch nur auf den kleinsten Funken Leidenschaft für das zionistische Unterfangen schließen lasse. Die sei hier, weil sie ihrem Gatten notgedrungen auch zum Nordpol gefolgt wäre, sie hasse die Zionisten. Bei der jedenfalls wundere es sie nicht, dass sie sich von der Gemeinschaft abschotte. Und ihr Mann sei ein Snob. Oder? Wie sonst ließe sich erklären, dass die ihr Grundstück einzäunten? Als Einzige im ganzen Moschaw! Das sei doch nicht normal. Und ob Rachel ihr das bitte erklären könne?
    Rachel meint, die seien halt gern unter sich.
    Pah, unter sich! Wann wäre der Sonnenstrahl der Freundschaft je durch eine geschlossene Pforte gefallen?
    Rachel schweigt.
    »Meine liebe Frau Kahn! Eine offene Tür ist der Schlüssel zu einem offenen Herzen, und sind wir etwa Kommunisten, weil wir so denken? Nein, wir sind eine Gemeinschaft anständiger Menschen. Jeder für sich und doch füreinander da. Noch Tee?«
    Rachel nippt an dem heißen Gebräu und denkt an Vera Shneorov.
    Ihre einzige Freundin.
     
    In Weißrussland aufgewachsen, mit einem halben Dutzend Geschwistern, aber Not musste keines leiden. Die Familie war begütert und kultiviert, schickte sie auf gute Schulen, in die Oper, ins Theater. Vera lernte, sich auf gesellschaftlichem Parkett zu bewegen und ihr scharfes Mundwerk zur zielsicheren Klinge zu schleifen, was die heiratswilligen Junggesellen umso mehr für sie einnahm. Brillierte als Studentin der Medizin im georgischen Tiflis, traf Samuel, der sich dort für Agrarwissenschaften eingeschrieben hatte und Veras Intellekt mit Kenntnissen des Französischen, Deutschen, Lateinischen und Hebräischen, jüdischer Philosophie, Geigenspiel und Gesang entzückte.
    Im Kaukasus gedieh der Antisemitismus, die Bolschewiken begannen das Land umzukrempeln. Als die Rote Armee 1921 Georgien überrannte, glaubte Vera immer noch an die Utopie eines Kommunismus, in dem die Menschen frei von Vorurteilen und Unterschiedsdenken Seite an Seite leben, während Samuel Zeuge wurde, wie Rotarmisten jüdische Studenten zusammentrieben, verschleppten und exekutierten.
    Und er war einer der Köpfe von Poale Zion, der zionistischen Arbeiterbewegung. Es brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was sie mit ihm tun würden.
    Die Oktoberrevolution hatte die Juden verraten, so viel stand fest. Er flehte Vera an, ihn zu heiraten und mit ihm nach Palästina zu fliehen, die Umworbene brach ihr Studium im achten Semester ab –
    Da waren sie nun. Und Rachel weiß allzu gut, was Vera empfand, als sie in Haifa an Land gingen. Nichts anderes hat sie selbst empfunden.
    In einem Wort: Entsetzen.
    Das Gelobte Heilige Land.
    Schmuddelige Sandberge, kärglich bewachsen und durchbrochen von Sümpfen, außerdem schien ein

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