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Haschawim?«
Das Nachbardorf.
Dörfchen.
Noch elendere Hütten.
»Wir hatten im Rat beschlossen, denen Land abzugeben, jeder ein Stück. Die Scheinermanns liefen dagegen Sturm. Also zogen wir Drähte über die Grundstücke, um zu markieren, wo die neue Grenze verlaufen würde. Vera schnitt die Drähte bei Nacht und Nebel durch. Dann handelte sie hinter unserem Rücken mit den Neuen aus, dass sie ihr Land als Einzige behalten dürften, und die stimmten auch noch zu. So einen Alleingang hat hier noch keiner gewagt! Am Ende wurden wir alle unser Land los, nur die Scheinermanns nicht.«
»Stell dir das vor«, sagte Rachel zu Schalom.
Stell dir das vor wurde zu ihrer Standardfloskel.
»Na, was sind denn das für Individuen?«, wunderte sich Schalom.
»Es sind wenigstens welche.«
Schalom schüttelte den Kopf, doch mit der Zeit begriff auch er, dass sie mehr mit den Scheinermanns gemeinsam hatten als gedacht.
Kinder im selben Alter etwa.
Als nämlich Rachel in der wellblechgedeckten Entbindungsstation Kfar Sabas Jehuda und Benjamin zur Welt brachte, gebar Vera dort einen Jungen, der seinen Spitznamen noch vor dem ersten Schrei erhielt: Arik. Einer Tochter hatte sie schon das Leben geschenkt, Jehudit, genannt Dita. Dies und das innere Band, das sich zwischen den beiden Frauen spannte, trug rasch zur Vertiefung der Freundschaft bei. Rachel war keine Intellektuelle, nur eine Näherin, aber bitte, sie kam aus Berlin, sie hatte in Theatern und Varietés gesessen –
Und sie sprach Russisch!
Rachel Elisabeta Karpow. Tochter einer Deutschen und eines russischen Emigranten und Rotfront-Aktivisten, geboren in Sankt Petersburg, zweisprachig aufgewachsen.
Verglichen mit den anderen Dörflern mussten sie den kulturell verdurstenden Scheinermanns wie Sendboten des Himmels erschienen sein. Samuel war ein hervorragender Violinist. Schalom spielte ein weniger edles Instrument, das Bandoneon, allerdings ebenso virtuos, und wenn er auch nicht so gut sang wie Samuel, dann doch mit Inbrunst.
»Wie haltet ihr das bloß aus, von allen angefeindet zu werden?«, fragte Schalom eines Abends in die Runde.
»Man kann alles aushalten«, befand Samuel.
»Körperlich«, fügte Vera hinzu.
»Vielleicht hättet ihr denen in Ramat Haschawim doch ein winziges Stückchen von eurem Acker abgeben sollen.«
»Warum?«
»Um des lieben Friedens willen.«
»Man gibt kein Land ab.«
Punkt, Schluss. Sie saßen im Hause der Scheinermanns bei einer billigen Flasche Wein und getrockneten Feigen, die Kleinen waren auf dem Sofa eingeschlafen. Samuel schob eine Dattel in den Mund, beugte sich zu Arik und Dita hinab, die umschlungen hinter einem Kissen Zuflucht vor dem diesmal ganz besonders aggressiven Violinvortrag gesucht hatten, und wiederholte im Flüsterton:
»Man – gibt – kein – Land – ab.«
Die drei Naturgesetze im Scheinermann’schen Universum:
Siehe oben
Prinzipien sind dazu da, eingehalten zu werden, auch wenn es das Leben kosten könnte.
Die Solidarität in der Familie widersteht allen Stürmen.
Womöglich wäre es längst zu blutigen Übergriffen gekommen (schon weil die Kinder der anderen Familien regelmäßig Scheinermanns Obstbäume zu plündern versuchten), hätte der Moschaw nicht von Samuels akademischer Bildung profitiert. Zähneknirschend musste sich die Ratsversammlung eingestehen, dass der studierte Herr Agrarökonom mit Ideen aufwartete, auf die sie selbst nie gekommen wären.
Vor allem aber bewies er Mut.
Denn die Kooperativen, die der Jüdische Nationalfonds in der Scharon-Ebene gegründet hatte, schwebten in ständiger Gefahr. Nicht alle hiesigen Araber machten Ärger, mit einigen ließ sich sogar Handel treiben, insgesamt aber war das Klima vergiftet. Wenige Jahre bevor sich die Kahns angesiedelt hatten, war das Dorf von arabischen Banditen geplündert worden, nie konnte man sicher sein. Die Bedrohung schmiedete die Gemeinschaft zusammen, und wenn die Scheinermanns auch gegen die anderen standen, hätten sie doch ihr Leben riskiert, um Kfar Malal und seine Bewohner zu schützen.
Man duckt sich nicht weg, auch das lernte Arik.
Zum fünften Geburtstag hat Samuel ihm ein prachtvolles Exemplar von Dolch geschenkt, mitgebracht aus Georgien.
Jetzt, als er sechs wird, bekommt er eine Geige.
Und besagten Knüppel.
Womit wir wieder bei Benjamin wären.
Benjamin, der Arik beneidet, ebenso wie seinen Bruder Jehuda. Auch der läuft neuerdings mit so einem Dreschflegel herum. Einem langen, bösen Kumpel,
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