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strahlt die Villenanlage einen trügerischen Frieden aus. Weiter östlich, weiß Hagen, campieren 20 000 Flüchtlinge unter erbärmlichen Umständen in der Wüste. Aus Sirte geflohen, als zwei Tage Waffenruhe herrschte.
Nichts passt mehr zusammen in diesem Land.
Nun, so ist Krieg.
Er fragt sich bloß, wie es je wieder zusammenpassen soll.
»Können Sie mich mitnehmen?«
»Wann? Morgen?« Der Kommandeur pafft ein Wölkchen in die Luft. Hagen erscheint es wie der Vorbote der Rauchsäulen, die in wenigen Stunden über der Stadt stehen werden. »Sie wollen sich dem wirklich noch mal aussetzen?«
Was soll ich denn sonst tun, denkt er. Gaddafi ist meine Absolution. Meine Rückfahrkarte in die Zeit vor 2008. Wenn ich dabei bin, wie sie ihn aus seinem Versteck zerren, das erste Foto schieße, den ersten Bericht schreibe, ihm ein Mikrofon unter die Nase halte oder den Typen, die ihn gekrallt haben –
Er muss in der Stadt sein.
Ich muss in der Stadt sein.
»Klar können Sie mitkommen«, sagt der Kommandeur. »In meinem Truck, wenn Sie wollen.« Lässt die Zigarette fallen, kaum zur Hälfte aufgeraucht. »Wo ist eigentlich Ihr Fotograf? Dieser –«
»Petter? Abgereist, vorhin.«
»Tripolis?«
Hagen nickt.
»Wollen Sie meine ehrliche Meinung hören? In Sirte werden Sie nichts anderes zu sehen bekommen als Tote und noch mehr Tote. Fahren Sie ihm hinterher.«
»Schlimmer als heute kann es kaum werden.«
»Sie wissen selbst, dass die Skala nach oben offen ist.«
»Ich kann hier nicht weg.«
Klang da so etwas wie Verzweiflung mit? Er hasst es, diesen Unterton bei sich zu hören.
Der Kommandeur zuckt die Achseln.
»Wie Sie meinen. – Bei Allah, was ist da schon wieder los?«
Gebrüll. Ein Streit.
Rund um die Pick-ups herrscht Betriebsamkeit. Die schweren Maschinengewehre auf den Ladeflächen werden gereinigt, geölt, Munition herangeschleppt. Aus einem der Wagen dröhnt Schlangenbeschwörermusik, strapaziert die Boxen, mehr Krach als Genuss, aber wenigstens haben sie aufgehört, im Garten Insignien des alten Regimes zu verbrennen, erbeutete Gaddafi-Bilder und ähnliches Zeugs. Mehr als einmal hat Hagen erlebt, wie sie sich im Streit fast die Köpfe eingeschlagen haben: Tod dem Tyrannen! – Seid ihr bescheuert, nachts Feuer machen? – Allahu akbar! – Sie werden uns aus der Stadt beschießen! – Halt die Fresse, Allahu akbar! – Halt selber die Fresse, Idiot!
Und so weiter, und so fort.
Streiten sich, als bekämen sie Geld dafür.
Und warum? Weil jeder besser zu wissen meint, wovon er tatsächlich nicht die geringste Ahnung hat. Denn was sind sie? Studenten, Arbeiter, Akademiker. Freizeitkrieger in Jeans, Turnschuhen und abenteuerlich zusammengestoppelten Rambo -Outfits. Zivilisten, die über Nacht lernen mussten, erbeutete Waffen zu reparieren, sie einzusetzen und damit zu töten. Nachdem immer mehr Soldaten Gaddafi von der Fahne gingen, hat sich das Verhältnis zugunsten der Profis verschoben, aber straff durchorganisierte Kriegsführung lässt sich hier beim besten Willen nicht erkennen.
Eher Mad Max 4 .
Hagen schaut sich um.
Sofort fallen ihm die beiden Landrover auf. Blitzblank, erstklassige Bereifung, Munition und Ausrüstung ordentlich aufs Dach gestapelt. Würde er einen Blick ins Innere werfen, er bekäme eine hochmoderne Funkausrüstung zu Gesicht, nicht die üblichen geklauten Walkie-Talkies aus gestürmten Polizeiwachen und Kasernen.
So sehen sie aus, die Fahrzeuge der nicht anwesenden ausländischen Bodentruppen.
Hagen muss grinsen.
Von den zwei, drei annoncierten, arabischen NATO -Spottern stehen etwa zehn um die Rovers herum und unterhalten sich im breiten Cockney ihrer Kindheit. Dafür, dass sie nicht hier sind, verursachen sie einen ziemlichen Lärm, aber wenigstens sehen sie arabisch aus. Sind guter Dinge, lachen. Ein Stück weiter zanken sich lautstark zwei Männer, fuchteln einander mit der Faust vor dem Gesicht herum, zeigen abwechselnd auf einen riesigen UB -32-Raketenwerfer, der schräg von der Ladefläche absticht. Irgendwie sieht es verkehrt aus, wie sie das Ding montiert haben.
»Was ist hier los?«, herrscht der Kommandant die beiden auf Arabisch an. »Seid ihr verrückt, so herumzublöken?«
Sie zollen dem Neuankömmling Aufmerksamkeit, indem sie nun gemeinschaftlich auf ihn einschreien. Hagen spitzt die Ohren. Sein Arabisch wird täglich besser, aber die Antworten erfolgen in der Geschwindigkeit einer auf Dauerfeuer geschalteten Uzi und dazu noch im
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