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Mist.
Er braucht das Foto.
Bis nach fünf fallen die Bomben.
Noch währenddessen beten die Rebellen im Garten das Fadschr. Verneigen sich gen Mekka, als wollten sie sich vor dem Krachen der Explosionen wegducken, die sie eben noch bejubelt haben, den inneren Blick auf eine bessere Welt gerichtet.
Mit Allahs Hilfe.
Vergesst es, denkt Hagen.
Allah ist nicht euer Ausputzer. Wäre ich er, ich würde euch was husten. Ihr wollt eine bessere Welt? Baut sie euch gefälligst selbst zusammen, ihr habt die alte ja auch selbst kaputt gemacht.
Doch wer ist hier eigentlich schuld?
Gleichsam aus Raumschiffen schauen Analysten und Politiker, Befürworter und Gegner des NATO -Einsatzes auf Libyen. Was okay ist. Unstrittig bedarf es großer Höhe, die Wege der Eskalation nachzuzeichnen und im mäandernden Delta der Geschichte Schuldige auszumachen, und den Rest besorgt die sogenannte öffentliche Meinung. Nur dass jeder in Talkshows erschwätzte Konsens dort seine Gültigkeit verliert, wo die Kacke tatsächlich dampft. Niemand bezweifelt, dass Gaddafi angefangen hat, soll heißen, losgegangen ist es mit Protesten, und der Bruder Führer in seiner Paranoia sah gleich Heerscharen Krimineller und Drogensüchtiger am Werk, Zombies, die dem Ruf westlicher Provokateure folgten, und nahm sein Volk unter Beschuss.
Jetzt aber nimmt das Volk Rache am Volk.
Alles ist viel komplizierter, als der konsensverwöhnte Westen glaubt – und vergessen wir nicht, wir sind in Libyen, das sich schon einmal in einer Revolte erneuert hat, verkörpert in der Gestalt jenes so charismatischen, gut aussehenden Gaddafi, den viele jetzt loswerden wollen,manche aber auch nicht. Nach 40 Jahren Diktatur hat jeder in diesem Land gute Gründe, auf der einen oder der anderen Seite zu stehen.
Nur, welche Seite ist ›die andere‹?
Wie viele andere Seiten gibt es inzwischen?
Die Gaddafer, muss man sagen, geben noch das geschlossenste Bild ab. Schlicht, weil sie das meiste zu verlieren haben. Die Revolutionäre eint hingegen lediglich, wogegen sie kämpfen, nicht wofür. Noch liegen sie sich in den Armen, über Klüfte hinweg. Betonen, dass sie keine Wahl hatten, was soll das für eine Wahl sein, töten oder getötet zu werden, das Richtige entweder mit den falschen Mitteln oder gar nicht zu erreichen? Welche Wahl hatte denn die Weltgemeinschaft? Sanktionen schön und gut, aber wenn einer gerade damit befasst ist, dir die Kehle durchzuschneiden, hilft es wenig, über ein Verkaufsverbot für Messer nachzudenken. Die NATO musste bombardieren. Und sie müssen sich eben verteidigen, töten, Städte zerstören.
Obwohl sie doch die Guten sind.
Alles richtig.
Nur ändert es nichts daran, dass Rebellen und Gaddafer einander in ihrem Hass längst so ähnlich geworden sind wie Zwillinge. Eine Waffe, das ist die traurige Wahrheit, pervertiert jeden, sobald er sie benutzt. Gewalt mag ein graduelles Phänomen sein, Ohrfeige, Nase brechen, aber wer einmal getötet hat, der hat getötet. Unwiderruflich.
Das Schlimmste, was dein Peiniger dir antun kann, ist, dass er dich zwingt, auf ihn anzulegen und abzudrücken.
Dass er dir keine Wahl lässt.
Endlich drehen die Bomber ab.
Zwanzig Minuten später hockt Hagen im Truck des Kommandeurs, iPhone und Handycam in Bereitschaft.
Ein Lindwurm aus Fahrzeugen setzt sich in Bewegung. Über die Verbindungsstraße Sirte–Bengasi brausen sie der qualmenden Stadt entgegen, das irritierend urlaubsblaue Meer zur Rechten. Im frühen Licht haben die Rauchsäulen begonnen, sich zu zersetzen. Rußige Schwaden treiben über der zerklüfteten Skyline und ziehen mit dem Wind landeinwärts. Hagen wird auf der Rückbank hin und her geschüttelt, eingequetscht zwischen Daoud, einem vor Übermüdung wie auf Droge dreinblickenden Soldaten, und der ausufernden Präsenz des Volksschullehrers Ibrahim, dessen Doppelkinn sein Gesicht in ständige Geradeausrichtung zwingt.
Ibrahim redet in einem fort.
»Wegen mir muss keiner sterben, hörst du, kein Einziger, ich meine, ich bin aus Bengasi, Mann, wir haben kein Problem mit denen aus Sirte, nicht wirklich, jedenfalls nicht so wie die aus Misrata, da hat sich einiges angestaut, schon klar, aber wegen mir –«
Fühlt Ibrahim keinen Hass?
»Nein.« Gutmütiges Staunen. »Wozu?«
Die Sirter haben jede Menge Rebellen getötet. Allein gestern über 20.
»Ja schon, aber was sollen sie denn machen, ich meine, schau mal, das sind ja größtenteils Gaddafer, sein Stamm, die haben doch nicht
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