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allen Nähten geplatzt. Dann schien es eine Weile, als sei das Schlimmste überstanden. Zumindest hofften sie, nicht mehr unentwegt Freunde zusammenflicken oder verscharren zu müssen. Ein Trugschluss, befeuert von verfrühten Siegesmeldungen, nachdem die Revolutionsbrigaden zuvor ihre Flagge über dem Ouagadougou-Tagungszentrum gehisst hatten, dem Hauptstützpunkt der Gaddafi-Anhänger. Da mussten sie einfach »Sieg!« schreien. Nach all den Monaten der Entgrenzung, dem kaum noch zu ertragenden Druck. Mit dem Fall Sirtes will der Übergangsrat Libyen für befreiterklären, also liegt es jetzt an ihnen: Beendet den Spuk, Jungs. Strengt euch an. Die Sache ist gelaufen, worauf wartet ihr noch?
Macht hin!
Kein Wunder, dass sie sich Luft verschaffen: »Sieg!« schreien, » Allahu Akbar !«.
Und sterben.
Weil das Ganze hier noch lange nicht gelaufen ist.
Ein anderer Arzt kommt ihnen auf dem Flur entgegen, lächelt, um fast gleichzeitig in Tränen auszubrechen. Fällt Abdallah um den Hals, und sie müssen anhalten, lassen ihn weinen.
Irgendjemand hat es wieder nicht geschafft.
Ein Freund.
Und die in Sirte? Die ›Feinde‹? Warum geben sie nicht endlich auf?, will der CNN -Mann wissen, als sie ihn nach draußen zu seinem Team bringen.
Abdallah zuckt die Achseln. Sein Blick birgt eine Antwort, die zu geben er zu müde ist. »Buhadi«, sagt er noch auf Hagens Nachfrage, wo genau die Special Forces reingehen wollen, und eilt zurück in seinen dottergelben OP -Saal.
Stadtteil Buhadi.
Von da hat man sie heute vertrieben.
Dabei sind die Spezialeinheiten schon verschiedentlich in der Stadt gewesen. Aber heute Nacht müssen sie Klarheit schaffen, damit die Herren der Lüfte ein für alle Mal aufräumen können. Am Himmel herrscht das Mandat. Französische Rafale und Mirage 2000, amerikanische F16, B2 und Thunderbolts, britische Tornados und Apaches, Spanier, Italiener, Norweger, Kanadier – die Welt schaut aus dem Cockpit auf Libyen. Seit dem 31. März liegt die Durchsetzung der UN -Resolution offiziell in Händen der NATO . Mit Macht kommt die Operation Unified Protector über den Diktator, aus den Himmeln kommt sie, denn Bodentruppen sind von den Beschlüssen nicht gedeckt.
Darum sind auch keine da.
Zumindest nicht, wenn man sich unter Bodentruppen hochgerüstete Verbände vorstellt, die mit Panzern übers Land kacheln, andererseits ist der Begriff Truppe so detailspezifisch wie Säugetier. Da gibt es Arten, Unterarten, Nischenbewohner. Special Forces beispielsweise, NATO -Spotter, die sich, assistiert von Ortskundigen, nachts in belagerte Gebiete schleichen, die Verteidigungslinien ausspitzeln und mit Laserpointern für die Bomber kennzeichnen.
Die gehören auch zur Truppe.
Und sind natürlich auch nicht da.
Von wegen, denkt Hagen.
De facto gibt es keinen Luftkrieg ohne Special Forces am Boden, das weiß jedes Kind. Das wissen auch die Leute in der NATO -Pressestelle, wo man Journalisten gegenüber einräumt, also ja, es seien schon welche vor Ort. Natürlich keine Amerikaner, Engländer oder so. Araber, Vater Libyer, Mama Britin oder Französin, so was. Eigentlich Einheimische, also nicht wirklich eine Verletzung der Resolution.
Wie viele?
Na ja. Zwei oder drei.
Die, muss man sagen, haben ihren Job gründlich gemacht. In Misrata, Bengasi, Bani Walid. Wo immer die Bomber der NATO Ziele suchten, haben sie ihre verräterischen Wegweiser hinterlassen. Tags drauf, nach Sonnenaufgang, begann sich der Himmel dann von Druckwellen zu blähen. Winzige, silbrige Punkte im frühen Blau, aber was sie abluden, reichte, um dem Widerstand das Rückgrat zu brechen. 48 Stunden später waren die Rebellen in aller Regel drin, bejubelt von der Mehrheit der Bevölkerung, die mit Gaddafi nichts am Hut hatte und sich glücklich schätzte, endlich befreit worden zu sein, auch wenn das Stadtbild unter dem Beschuss nicht unbedingt gewonnen hatte.
Nur in Sirte ist alles anders.
Sirte, die Herzkammer des Diktators.
Hier ist Gaddafi geboren.
Schon darum liebt er das Küstenstädtchen über alles. Und jeder weiß, je mehr er eine Stadt liebt, desto großzügiger lässt er sie in der Wüste erblühen, weshalb die Villenviertel eine kumulative Dichte von Gaddafern und Protegés aufweisen wie sonst nirgendwo in Libyen. Dass der zusehends in Wirrnis fallende Despot das Geschick seiner Herkunft zum Anlass nimmt, Sirte aus irgendeinem Mauseloch heraus, in dem er gerade hockt, zur neuen Hauptstadt zu erklären, macht alles nur noch
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