Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
Ich blinzle Silas ins Gesicht. »Warum hast du mir nicht gesagt, wie knapp es schon war?«, schimpft er. Ich zucke die Schultern und er verdreht die Augen.
In einem unversehrten Säulengang warten schon die Soldaten auf uns, die meisten von ihnen scheinbar in Feierabendstimmung. »Komm schon«, sagt Silas.
Wir werden eine steinerne Außentreppe emporgeführt, durch ein eindrucksvolles Holzportal hinein in eine riesige Eingangshalle, dann mehrere Treppenaufgänge hinauf, vorbei an verblichenen goldgerahmten Porträts. Auch wenn das Gebäude äußerlich fast unbeschädigt wirkt, spürt man im Inneren die Kälte und sieht den Schimmel an der Decke.
Als wir im oberen Stockwerk angelangt sind, lässt der Tätowierte eine an der Wand befestigte Kiste aufschnappen und holt eine ausziehbare Atemmaske heraus. Er drückt sie sich ans Gesicht und atmet tief ein. Auf meinen Blick hin erklärt er: »Wir haben auf dem ganzen Gelände solche Oxyboxen installiert. Reiner Sauerstoff. Erspart uns das Einleiten in alle Räume.«
»Und was ist mit den Leuten, die mit so einem beschränkten Vorrat nicht auskommen?« Ich fummle an meiner Sauerstoffflasche herum.
»Solche gibt’s bei uns kaum«, sagt er und reicht die Maske an einen anderen Soldaten weiter.
Vom langen Flur gehen zu beiden Seiten Türen ab. Über jeder befindet sich ein Schild: Meditationsraum 6 – Yogastudio 10 – Testraum 1 – Testraum 2 – Arzneiausgabe – Fortpflanzung.
Ich zupfe Silas am Ärmel, um ihn darauf hinzuweisen. Er nickt. Selbst wenn wir ihre Bäume noch nicht entdeckt haben, zeigen solche Räume immerhin, dass es hier nicht groß anders läuft als im Hain. Vielleicht sind wir hier doch in Sicherheit.
Als wir zwei Türen am Ende des Gangs erreicht haben, bedeutet der Mann den begleitenden Soldaten zu gehen. Dann wird sein Blick ernst. »Pinkelt ihr bloß nicht ans Bein«, sagt er.
Durch riesige Flügelfenster dringt Licht in den Raum und auf das abgewetzte Samtsofa davor, auf dem eine schlanke Frau mit einer sehr selbst gemacht wirkenden Kurzhaarfrisur ruht. Sie trägt ein schlichtes weißes Oberteil und eine Hose mit weitem Bein.
Sie blickt von dem altmodischen Pad hoch, auf dem sie gelesen hat, und rollt sich träge auf die Seite. »Maks«, grüßt sie den Mann mit den Tattoos, dann steht sie langsam auf. »Was sind denn das für jämmerliche Gestalten?«
Maks lacht. »Das ist noch freundlich gesagt, Vanya.«
Die Frau bleibt direkt vor Silas stehen. »Hallo«, sagt sie und fährt ihm mit den Fingern übers Gesicht. Er wendet den Blick ab. »Sag mir bitte, dass du das Ding hier nicht brauchst«, meint sie und tippt mit den Fingernägelnauf seine Sauerstoffflasche. Ihre Hände sind faltig, trotz ihres glatten Gesichts.
»Tun sie, aber wie«, sagt Maks. Er stellt sich hinter mich und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Die hier hätten wir vor ein paar Minuten fast abschreiben können.« Ich winde mich, doch seine Hand bleibt, wo sie ist.
»Also, bei uns gibt’s keine Atemgeräte«, sagt sie. »Wir sind nahe daran, so gut wie ohne auszukommen.«
»Ich kann auch ohne«, sagt Dorian. Er sieht derart selbstzufrieden aus, dass ich ihm einen Tritt verpassen würde, wenn ich nur etwas dichter bei ihm stünde. Bei den Rebellen hatte jeder seine Aufgabe. Silas und meine lag in der Kuppel. Nicht unsere Schuld, dass wir so viel zugesetzten Sauerstoff brauchen.
»Ich saug jetzt schon fünfzig Jahre Konservenluft und das werd ich jetzt bestimmt nich aufstecken. Ich bin, was ich bin, dafür schäm ich mich nich«, mischt Maude sich ein.
Vanya rümpft die Nase. »Ausgestoßene?«
»Eigentlich bin ich auf’m Laufsteg zu Hause«, krächzt Maude und wackelt mit den Hüften.
»Und was soll ich jetzt mit denen anfangen?«, fragt Vanya bissig. Maks nimmt die Hand von meiner Schulter und ich kann mich immerhin genug entspannen, um meine Sauerstoffzufuhr richtig einzustellen.
»Die wären doch eins a Stifter«, sagt Maks. Ich verstehe kein Wort, genauso wenig wie alle anderen, aber keiner fragt nach. Wir sind Publikum, sonst nichts.
Vanya schnieft und mustert mich von oben bis unten, als stünde ich hier zum Verkauf. Anstatt mich zu wehren,richte ich mich auf und beiße die Zähne zusammen, um zu zeigen, wie zäh ich doch bin. Wie verzweifelt muss man sein.
»Wir wollen bei euch mitmachen. Mithelfen«, sagt Silas.
Sie legt ihm die Hand auf die Brust. »Das klingt ja wunderbar«, gurrt sie. Maks feixt. Silas läuft rot an. Er schaut überall hin,
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