Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
Schienbein hochreichen, der Knochen versteckt und die Wunde geschlossen ist.
Ich ziehe ihr die Maske vom Gesicht und nehme den Stoff aus dem Mund. Sie atmet noch. Sanft.
»Es tut mir leid«, flüstere ich, weil ich die Sache vielleicht noch schlimmer gemacht habe.
Jetzt kann ich nur noch warten – auf Rettung oder auf den Tod.
ALINA
Die letzten zwei Tage sind wir fast unentwegt gewandert. Meine Füße haben Blasen, meine Muskeln sind verkrampft und brennen. Sogar Song und Dorian sind fix und fertig und haben schließlich doch Atemgeräte angelegt.
»Hier muss es sein«, sagt Dorian.
Wir sind irgendwo im Nirgendwo, in der Senke einer aufgeworfenen Straße inmitten platter Felder, auf denen verwitterte Gemäuer und längst abgestorbene Baumstümpfe zu sehen sind. Silas faltet die Karte auf und nickt in Richtung eines verzierten Eisengitters am Ende der Straße, das sich trotz allen Rosts gut gehalten hat. »Das da vielleicht?«
»Wir drehen uns schon den ganzen Morgen im Kreis. Das dort ist das Einzige, wo wir noch nicht nachgeschaut haben«, sagt Dorian.
»Für noch ein Vielleicht ist unser Sauerstoff zu knapp«, murmele ich. Mein Hirn wird ganz wattig und rasch lasse ich etwas mehr Sauerstoff in meine Atemmaske.
»Mal nachschauen.« Silas stopft die Karte wieder indie Jacke und führt uns die Straße runter, die Waffe an seiner Seite baumelnd.
Als wir näher kommen, kann ich durchs Gittertor einen Weg ausmachen. Ich quetsche mein Gesicht zwischen die Stäbe. »Der Weg macht eine Biegung. Wer weiß, was da hinten ist«, sage ich.
»Dann finden wir’s doch raus«, sagt Dorian. Er winkt Song herbei und gemeinsam schieben sie das Tor auf. Silas hindert sie nicht und ich ebenso wenig. Doch das fehlende Schloss ist verdächtig. »Hoffentlich ham se den Tee schon aufgesetzt«, krächzt Maude. »Ich für meinen Teil würd nich Nein sagen.«
Der Weg ist völlig zugewuchert, überall liegen Flaschenscherben und alte Fahrräder rum, doch links und rechts verlaufen dicke Mauern, die wie neu aussehen. Silas hat wieder die Führung übernommen, ich bin direkt hinter ihm.
Plötzlich durchbricht eine Stimme aus dem Nichts die Stille. »Stopp! Der Weg ist vermint. Noch ein Schritt und das Bein ist ab.« Silas’ Fuß bleibt in der Luft hängen. Er verlagert sein Gewicht in die linke Ferse und macht einen Schritt zurück.
»Wir kommen als Freunde!«, ruft er.
»Rebellen«, ergänzt Dorian.
»Freunde brauchen keine Waffen. Werft die Pistolen hin«, dröhnt die Stimme. Fragend blicken wir Silas an. »Legt die Waffen ab oder wir eröffnen das Feuer!« Silas legt seine Pistole vorsichtig hinter sich auf den Boden und wir tun es ihm nach. Instinktiv hebe ich die Hände über den Kopf.
Und plötzlich sind wir umzingelt. An die zwanzig Wachen in Sturmhauben, jedoch ohne Atemgeräte, und das ist der entscheidende Punkt. Sie springen auf die Mauer und richten ihre Gewehre auf uns.
Ein bulliger Soldat im hautengen Unterhemd und mit von Tribaltattoos bedeckten Armen lässt die Waffe sinken. »Wer ist euer Anführer?«, verlangt er.
Silas natürlich, aber er tritt nicht vor, weil das hier vielleicht nicht alle so sehen.
»Ich bin hier der Boss. Auf die Knie, Gewürm«, sagt Maude und gackert los. Ich werfe ihr einen warnenden Blick zu. Irgendwie bezweifle ich, dass der Typ da ihren Humor zu schätzen weiß.
» Er ist es«, sagt Dorian und weist auf Silas. Ob aus Feigheit oder Großmut, kann ich nicht beurteilen.
»Ach ja?« Der tätowierte Anführer springt von der Mauer runter. Die Kälte scheint ihn nicht zu stören. Die anderen, in grüne Arbeitsuniformen gekleidet, bleiben einfach stehen und zielen weiter auf unsere Köpfe. »Ihr habt unbefugt das Gelände betreten.«
»Wir kommen vom Hain. Wir sind Rebellen wie ihr«, sagt Silas.
Der Mann lacht. »Rebellen, die schon aus dem letzten Loch pfeifen?« Dorian zieht sich die Maske vom Gesicht und lässt sie sich am Hals baumeln. Ich knuffe Song in die Seite, damit er Dorians Beispiel folgt.
»Na und? Ein paar von euch können also atmen. Vielleicht haben sich Petras Methoden etwas gebessert, aber was uns angeht, liegt ihr falsch. Wir sind keine Rebellen. Wir wollen mit Typen wie euch nichts zu tun haben.« Erpellt sich die Sturmhaube vom Gesicht und stopft sie sich hinten in die Hosentasche, bevor er die muskulösen Arme vor der Brust kreuzt. Er sieht gut aus, trotz der großen, dunklen Narbe im Gesicht. Und so wie er mich mit zur Seite geneigtem Kopf ansieht, weiß er
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