Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
weit von jemand anderem entfernt, nie weiter als eine Atemlänge. Doch inzwischen ist das Gefühl schon ziemlich überstrapaziert, obwohl ich erst einen Tag unterwegs bin. In Wahrheit ist das Ödland kein Ort des Friedens, sondern ein Friedhof. Es gibt nichts als menschliche Knochen und überall Zeichen des Verfalls: verrottende Matratzen, angeschlagene Teekannen, ausgetrocknete Stifte und verschrumpelte Baumstümpfe.
Ein lächerlicher Gedanke, sich hier zu verstecken. Wie sollte ich hier atmen, wenn mein Sauerstofftank erst leer ist? Wie sollte ich mich ernähren? Mit wemreden? In ein paar Monaten wäre ich entweder irre oder tot.
Deshalb suche ich nach Quinn, denn meine einzige Chance bleibt Judes Angebot – seinen Sohn zu finden und als Second zu leben.
Das wird besser sein als der Tod.
Das muss besser sein als der Tod.
Oder etwa nicht?
ALINA
Die Krankenschwester, zu der sie mich geschickt haben, sieht aus wie künstlich in die Länge gezogen, groß und dürr. Selbst ihre Nase ist ungewöhnlich lag. Sie reicht mir einen Wasserbecher und drei Tabletten: eine weiße ovale und zwei winzige rote Pillen. »Schlucken«, befiehlt sie.
»Was ist das?«
»Zwingend vorgeschrieben ist das.«
Ich nippe am Wasser und gebe vor, die Tabletten zu schlucken, während ich sie mir heimlich unter die Zunge schiebe und sofort in die Hand spucke, als die Schwester sich umdreht. Rein in die Hosentasche damit.
»Hier rauf«, sagt sie. Ich steige auf einen Tisch und lege mich hin. Sie bindet mir ein Gummiband um den Arm und reicht mir einen kleinen Ball. »Kneten«, befiehlt sie. Sie klopft mir ein paarmal in die Armbeuge, und ehe ich reagieren kann, sticht sie mit einer Nadel zu. Ich fahre auf und unterdrücke einen Protestschrei. »Hör auf zu zappeln«, giftet sie mich an, bevor sie das Band löst und eine Ampulle Blut abzapft.
Als sie schließlich fünf Ampullen voll hat, fährt sie herum. Ihre Gummisohlen machen ein ekliges Geräusch auf dem Boden, als sie mein Blut auf einem Träger im Kühlschrank deponiert. Dann greift sie in einen Schrank und zieht ein Fläschchen klarer Flüssigkeit heraus.
»Und jetzt der Booster.« Sie schüttelt die Flasche, drückt eine Nadel durch den Deckel und hält die Spritze dann ins Gegenlicht, um ein paarmal mit dem Finger dagegenzustupsen. Sie prüft den durchsichtigen Tropfen, der in die Spitze hochgeschossen kommt. Diese EPO-Spritze soll also den Anteil roter Blutkörperchen erhöhen und unseren Sauerstoffbedarf senken. Genau das Gegenteil von dem, was die vorgeschriebenen Impfungen in der Kuppel bezweckt haben, aber für mich macht das keinen Unterschied. Ich will mir nichts injizieren lassen. Hier nicht. Und auch sonst nirgendwo.
Ich überlege, mich einfach zu weigern, was der Schwester nicht entgeht und mir einen Blick über ihren Brillenrand einbringt. »Irgendein Problem?« Sie tupft meinen Arm mit Alkohol ab. Ich schließe die Augen und sie sticht mit der Nadel zu.
Das war’s dann wohl hoffentlich, denke ich und stütze mich auf die Ellbogen, aber weit gefehlt. Lächelnd wirft die Schwester mir eine kratzige Decke zu. »Mach dich untenrum frei und leg dir die über den Schoß. Ich bin gleich zurück.« Sie schließt die Tür hinter sich und ist verschwunden. Ich blicke auf die Decke runter, dann auf die Ansammlung fremdartiger Metallinstrumente, die auf dem Tisch liegen, stehe auf und tigere durchs winzige Labor.
Der Gedanke, mir von irgendwem den Unterleib untersuchen zu lassen, ist in mehr als einer Hinsicht erniedrigend. Nicht nur, dass ich Schiss habe, mich von der Schwester beglotzen und mir von ihr Gegenstände reinschieben oder irgendwas wegschaben zu lassen – meine Haare riechen, als hätte jemand draufgekotzt, und gestern beim Stiefelausziehen haben meine Füße gestunken. Ich mag gar nicht drüber nachdenken, wie wohl der Rest von mir riecht.
Ich bin keine Heulsuse, aber zum ersten Mal seit Ewigkeiten spüre ich, wie es mir hinter den Augen prickelt. Als Rubbeln nichts hilft, verpasse ich mir selbst eine Ohrfeige. Die sticht und genau das habe ich gebraucht. »Krieg dich ein, Alina«, sage ich zu mir selbst.
Ich kicke meine Stiefel in eine Zimmerecke und starre auf meine ausgeleierten, feuchten Socken, die ich anlassen werde. Ich steige aus der Hose, dann aus der Unterhose, und schleudere beides zu den Stiefeln. Als die Tür aufgeht, springe ich auf den Tisch und ziehe mir die Decke über die Beine.
Die Schwester schnappt sich eine Maske von der
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