Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
angesichts meiner Untersuchung mühelos denken.
»Wie sollen wir das anstellen?«, meint Song. »So auf Befehl.«
»Ich hab’s gemacht«, gibt Dorian unumwunden zu.
»Was?«, sagt Silas.
»Wir haben gesagt, wir kooperieren, also habe ich kooperiert.« Er reibt sich die Nase.
»Kooperiert?« Silas beißt die Zähne zusammen, versucht mühsam, nicht in die Luft zu gehen. Er kratzt sich heftig am Kopf.
»Wo sollen wir hin, wenn die uns rausschmeißen? Petra hat erst mal jeden für ein paar Wochen in die Zelle geworfen. Ist das hier so groß anders?«, sagt Dorian.
»Die Krankenschwester hat mich ziemlich gründlich untersucht«, murmle ich. Dabei kann ich keinem der Jungen ins Auge sehen.
»Oh, Alina«, stöhnt Silas.
»Das muss für irgendwelche Gentests sein«, sage ich.
Song schüttelt den Kopf. »Die genetische Information bekommt man aus Blutproben und davon haben sie mehr als genug.«
»Was wollen die dann damit?«, frage ich.
Song atmet tief durch die Nase ein. »Ich glaube… ich glaube, die wollen rausfinden, wie fruchtbar wir sind.«
BEA
Bei meinem zweiten Trip zur Apotheke habe ich nach endlosem Herumwühlen ein paar uralte Schmerztabletten gefunden und die stopfe ich Jazz jetzt alle sechs Stunden rein, ob sie nun wirken oder nicht. Sogar im Schlaf jammert sie leise.
»Werd ich sterben?«, wimmert sie, als sie endlich zu sich kommt.
»Ach was, Dummi«, sage ich, wohl nicht ganz ehrlich. Selbst wenn Quinn nach Sequoia finden sollte, muss er immer noch wieder zurückkommen, und das wird Wochen dauern.
Und noch mehr Angst macht mir das Schwinden meiner Hoffnung. Jeden Tag ein bisschen weniger vom Einzigen, das mich noch aufrecht hält.
Für meine Eltern konnte ich nichts mehr tun und jetzt für Jazz auch nicht. Ich versuche, die Erinnerungen an ihre leblos daliegenden Körper wegzuschieben, an die quellende Blutwolke unter ihnen, während die Menschenmenge die Bühne stürmte. Und ich konnte nur zusehen, auf Old Watsons Mattscheibe, weit weg von dort,wo man mich gebraucht hätte. Wenigstens für Jazz kann ich jetzt da sein. Und Stärke zeigen und abwarten, bis das Schlimmste geschieht – oder ein Wunder.
Ich bette Jazz’ Kopf in meinem Schoß und summe eine klagende Melodie, denn die fröhlichen wollen mir nicht mehr einfallen. Eigentlich soll es sie beruhigen, doch ich habe es mindestens genauso nötig – wenn ich jetzt nicht summe, flenne ich los und das sollte Jazz nicht mitkriegen.
»Bist du müde?«, fragt sie und linst zu mir hoch. Ich kuschle ihren Kopf noch enger an mich. Da hat sie solche Schmerzen und sorgt sich trotzdem noch um mich. »Ich bin dann mal still, dann kannst du dich ausruhen«, sagt sie und beißt die Zähne zusammen.
»Ich muss nicht schlafen«, versichere ich ihr. Mit einer Hand streichle ich ihr sommersprossiges Gesicht, mit der anderen umklammere ich das Messer, doch meine Augen brennen schon vor Erschöpfung. Meine Schultern sacken ab. Mein Kopf ist so schwer. »Vielleicht doch ein paar Minuten«, sage ich.
»Bea!« Jazz’ drängendes Flüstern reißt mich aus einem verschwommenen Traum, den ich in dem Moment vergessen habe, in dem ich die Augen aufschlage.
»Bist du okay?«, frage ich.
»Ich hab versucht, mich zu bewegen. War ein Fehler. Tut noch weh.« Sie hat sich aufgesetzt und zittert. Ihre Hände sind eiskalt.
»Schon in Ordnung. Entspann dich nur.« Ich fische nach den Tabletten. Idiotisch von mir, mein ganzes Leben mit Wissenschaft und Philosophie und der Theoriedes besseren Lebens zu verplempern, wo ich stattdessen das Überleben in der wirklichen Welt hätte lernen können. Wenn nur Alina hier wäre. Sie würde wissen, was zu tun ist, und Jazz hätte vielleicht den Hauch einer Chance.
Jazz stupst mich an und kreischt auf. Aus ihrer Wunde suppt es gelb heraus. Ich beuge mich vor, um das Bein genauer zu unter die Lupe zu nehmen. »Nein! Guck mal!« Ich folge ihrem Zeigefinger von ihrem Bein zu ihren Füßen, über den gefliesten Bahnhofsboden bis ganz hinten, wo ein Stiefelpaar erschienen ist.
Ein Junge.
Ich reibe mir die Augen für den Fall, dass ich noch träume. Dann schnappe ich mir das Messer und springe auf, fuchtle damit in der Luft herum.
Was muss ich denn noch alles durchmachen? Wenn Jazz nicht wäre, würde ich das Messer fallen lassen und mich einfach ergeben. Aber so schwinge ich eben noch mal die Klinge. »Hau ab!«
»Lass uns reden«, sagt der Junge. »Ich will doch nur mit dir reden.« Gelassen lädt er seinen Rucksack ab und
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