Breed: Roman (German Edition)
sie beruhigend. »Wie geht es dir, Baby?«
»Erwähne bloß nicht dieses Wort«, sagt Leslie.
Bald sind sie in der Stadt. Die Außenbezirke verströmen eine Art postsozialistischer Anonymität, als würde sich jedes Gebäude – jeder Ziegelstein – davor fürchten, man könnte ihm Individualismus vorwerfen. Als sie sich jedoch dem Stadtzentrum nähern, wird die Architektur weniger funktionell und dafür dekorativer, und nach einer Reihe scharfer Biegungen, verursacht durch verschiedene Einbahnstraßen und neu eingerichtete Fußgängerzonen, erreichen sie ihr Hotel, das von außen nichts Einladenderes bietet als eine Holztür, wie man sie als Eingang einer kleinen Kirche erwarten würde. Darüber ist das Relief eines alten Mannes angebracht, der den Zeigefinger an die Lippen drückt, wahrscheinlich um die Passanten zu bitten, sich ruhig zu verhalten.
Leslie ist eingeschlafen. Alex tätschelt ihr das Knie, während er die Fahrerin bezahlt, dann hievt er beide Koffer aus dem Kofferraum und betritt als Erster das Hotel. Leslies Augen sind halb geschlossen; er argwöhnt, dass sie einfach nichts sehen
will
. Eingecheckt wird an einem reizenden Tischchen, das sich an der Seite eines mit Stein gepflasterten Innenhofs befindet. Dahinter steht ein bleicher Mann in den Dreißigern mit schütterem schwarzem Haar und traurigen braunen Augen, die dunkel umflort sind.
Nierenversagen
, denkt Alex, während er ihm die Pässe aushändigt.
Überall stehen Topfpflanzen, zu Hunderten, und die düsteren, vom Alter verkrusteten Gemälde an den Wänden erinnern Alex an die Porträts seiner Vorfahren zu Hause, nur dass hier eine Madonna mit Hängebacken dargestellt ist, ein finster dreinblickender Bischof und ein nacktes Jesuskind mit Wurstbeinen und Schmerbauch, das ein Schwert schwingt.
Ljubljana wird von einem Fluss in zwei Teile geteilt. Auf der einen Seite befindet sich die Altstadt, steinern und gotisch, mit gewundenen Straßen, die zur Praxis von Dr. Kiš führen, und auf der anderen ist der neuere Teil mit Bürogebäuden, modernen Apartmenthäusern und dem Hotel, in dem Alex und Leslie wohnen.
Die beiden wollen keine Zeit vergeuden; den Heimflug haben sie schon für den nächsten Tag gebucht. Ihre Suite ist geräumig, sie besteht aus einem großen Schlafzimmer, einem Wohnzimmer und zwei Bädern. Der Effizienz wegen duschen sie gleichzeitig, wobei Alex bereits seine Dusche verlassen, sich angezogen hat – er trägt einen blauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte, als müsste er ins Gericht – und auf einem Sessel sitzt, als Leslie, in ein Handtuch gewickelt, ein bescheidenes Kleid aus ihrem Koffer zieht. Er betrachtet sie mit Vergnügen.
»Du bist so eine schöne Frau«, sagt Alex kopfschüttelnd.
»Ich bin nervös und traurig, und ich wäre lieber nicht hier«, sagt Leslie, während sie das Kleid anzieht.
»Na, das ist genau die positive Energie, die wir in einer Zeit wie dieser brauchen«, sagt Alex.
»Tut mir leid, so ist es eben.« Sie betrachtet sich in dem Spiegel an der Tür des Kleiderschranks, streicht ihren Kragen glatt, betupft ihr Haar und zuckt die Achseln. »Kannst du mir wenigstens versprechen …«
»Das brauchst du nicht mal fragen«, sagt Alex und erhebt sich. »Das ist es. Der letzte Kreuzzug.«
Er nimmt sie in die Arme, vorübergehend übermannt von seiner tiefen Liebe zu ihr und seinem Bedauern, dass er sie und sich selbst auf der Suche nach dem Heiligen Gral eines Erben so vielen Prozeduren unterzogen hat. »Wenn wir hier unverrichteter Dinge abziehen, ist Schluss.«
»Wir können ein Kind adoptieren, Alex.«
»Mmm«, sagt er und vergräbt einen Moment das Gesicht in ihrem Haar.
Der Mann an der Rezeption ruft ihnen ein Taxi, und sie sitzen wartend im Innenhof und trinken Kaffee, Jetlag und Müdigkeit in den Knochen. Doch keine Spur von einem Taxi.
»Wir werden noch zu spät kommen«, sagt Alex. Er entschuldigt sich einen Moment und berät sich mit dem Hotelangestellten.
»Der Burg-Trg ist nur ein paar Schritte entfernt«, sagt Alex, als er zurückkehrt, in der Hand einen riesengroßen Schirm, den der Angestellte ihm überlassen hat.
»Was ist ein
Trg
?«, fragt Leslie.
»Das bedeutet ›Platz‹. Und der ist gleich auf der anderen Seite der Drachenbrücke«, fügt er hinzu, als würde er sich irgendwie in dieser kalten, regnerischen Stadt auskennen.
»Ich glaube nicht, dass ich an einem Ort sein will, wo die Plätze
Trg
heißen und wo die Brücken nach Drachen benannt
Weitere Kostenlose Bücher