Breed: Roman (German Edition)
in ihrem Ohr sammelt, aber hauptsächlich auf den Kragen ihres Mantels tropft, dessen hellblaue Wolle sich bräunlich schwarz verfärbt.
Doch so schrecklich dieser Anblick ist: Was die Aufmerksamkeit der Leute auf der Straße – wie auch die von Leslie und Cynthia – fesselt, ist der kleine Schützling der Nanny, ein kräftiges, langbeiniges, dunkelhaariges blasses Kind, zwei bis drei Jahre alt, der Kleidung nach zu urteilen ein Junge: rote Sneakers, Jeans und ein Satinjäckchen in den Farben der New York Giants. Es sitzt ruhig in seinem Buggy, die Hände im Schoß gefaltet. Seine Augen sind ausdruckslos, aus seinem Mund sabbert Blut.
»Hat das verfluchte Kind da etwa gerade seine Nanny gebissen?«, ruft Cynthia.
Laut Alex besteht der ärgerlichste Aspekt des Termins bei Dr. Kiš darin, dass man nicht direkt nach Slowenien fliegen kann, falls man keine Privatmaschine chartert. Deshalb bucht er Lufthansa, erste Klasse, nach München und einen Anschlussflug mit einer Linie namens Adria, wo man in der ersten Klasse wahrscheinlich nur eine größere Tüte Salzbrezeln bekommt. Und so brechen sie am Nachmittag des 18 . November zu einer Reise auf, die, wie Leslie hofft, die allerletzte Station auf der Suche nach einem leiblichen Erben ist. Die erste Etappe des Flugs verläuft einigermaßen entspannt; gegen sieben Uhr morgens erreichen sie den peinlich sauberen Flughafen von München und finden ein Café, in dem sie eine Stunde totschlagen können, bevor ihr Flug nach Ljubljana startet. Sie verstauen ihre Vuitton-Handkoffer unter dem schwarzen Resopaltisch; in dem von Alex befindet sich ein Umschlag mit zwanzigtausend Dollar in Hundertdollarscheinen, der zweiten Hälfte des Honorars von Dr. Kiš, der auf Bargeld besteht – er hat die Güte, US -Dollar zu akzeptieren, obwohl er Euro vorzieht. Glücklicherweise hat jemand ein Exemplar der
Financial Times
liegenlassen; während sie ihren Milchkaffee trinken, liest Alex einen Artikel über die Versuche, British Petroleum zu restrukturieren, während Leslie sich über neuerdings wieder operierende internationale Banden informiert, die reiche Familien mit Kidnapping, Identitätsdiebstahl und Erpressung peinigen.
»Schau dir das mal an«, sagt Leslie und zeigt Alex ein Foto von zwei stämmig aussehenden Männern mit Dreitagebart, die ihre Kahlköpfe gesenkt halten, während sie von russischen Polizisten in Handschellen abgeführt werden. »Die haben versucht, das Kind eines amerikanischen Bankers zu entführen.«
»Idioten«, sagt Alex.
»Weißt du …« Das sagen beide gleichzeitig.
»Nur zu«, sagt Alex.
»Ich meine bloß, dass ich mir manchmal wünsche, wir wären nicht reich.«
»Ehrlich?«
»Ja. Ehrlich. Ich frage mich, wie unser Leben dann wohl wäre. Schließlich schafft Geld eine eigene Art Ghetto, nicht wahr? Mit allem, was wir tun, und jedem, den wir kennen. Und es macht uns auch zum Ziel von Verbrechen. Also, was wolltest du sagen?«
»Ich? Ich wollte sagen, wir hätten lieber keinen Linienflug nehmen sollen.«
Der Flug von München nach Ljubljana dauert etwa fünfzig Minuten. Was Größe und Atmosphäre angeht, macht der dortige Flughafen den Eindruck, als wäre man irgendwo in der Pampa gelandet. Alex und Leslie steigen aus, gemeinsam mit ein paar betagten Nonnen, einem österreichischen Geschäftsmann und einer Stewardess in einem pfauenblauen Blazer. Zum Hauptgebäude werden sie in einem Kleinbus transportiert, dessen Hintertür trotz der Kälte offen bleibt, während in der Nähe ein Jet startet. In dem schäbigen weißen Gebäude gibt es anscheinend weder Passkontrolle noch Zoll; schon nach wenigen Minuten haben die Twisdens den Flughafen verlassen und sitzen auf der Rückbank eines Taxis, das nach Luftreiniger riecht. Die Fahrerin, gut dreißig Jahre alt, hat stachlig gegeltes Haar, das Leslie an die Metallstäbchen erinnert, die manche Leute auf dem Fensterbrett anbringen, um die Tauben zu verscheuchen. Rasch fährt sie an den frostigen Hängen und den mit Reif überzogenen Nadelbäumen vorbei, von denen die Straße in die Stadt flankiert wird.
Ein unvermuteter Regenguss; er scheint ganz plötzlich aus dem Nichts zu kommen. Die Fahrerin benutzt nicht gern Scheibenwischer, sie schaltet sie immer nur einen Moment ein und dann gleich wieder aus. Dann wartet sie, bis die Windschutzscheibe so von Regen überspült ist, dass sie aussieht wie silbern lackiert.
Alex spürt die Spannung in Leslies Körper, und er nimmt ihre Hand und tätschelt
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